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Ein neuer Herzmanovsky

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Während der erste Band der im Langen-Müller-Verlag erscheinenden Werke von Herzmanovsky-Orlando lediglich ein Nachdruck des vollendeten und noch bei Lebzeiten des Dichters erschienenen Romans „Der Gaulschreck im Rosennetz“ ist, bringt der zweite Band ein unbekanntes Werk aus dem Nachlaß. Hier sah sich der Herausgeber Friedrich Torberg keineswegs einem fertigen, nur der Publikation harrenden Manuskript gegenüber, sondern „einem wahren Dschungel von üppig wucherndem Literaturprodukt, das er zu sichten, zu roden und gangbar zu machen hatte“. Konkret: das Gesamtmaterial zu dem vorliegenden Roman „Das Maskenspiel der Genien“ hatte mehr als den doppelten Umfang der vorliegenden Buchfassung und war auf unzähligen Zetteln mit schwer entzifferbaren Notizen und Entwürfen zerstreut. Von einer Handlung im herkömmlichen Sinn, einem epischen Plan war kaum eine Spur zu entdecken, der Handlungsfaden zum Reißen dünn. Unzählige Figuren wurden eingefühlt — und verschwanden wieder, wenn der Autor das Interesse an ihnen verlor, zahlreiche Motive kamen in mehreren Variationen vor usw. So ist es das Verdienst Friedrich Torbergs, in mühevoller Kleinarbeit aus all dem ein B u c h, ein gut lesbares — und was für ein amüsantes dazul — geformt zu haben.

Auch hier gibt es, wie im „Gaulschreck“, Szenen und Figuren, die wahre Kabinettstücke hintergründigen Humors sind. Aber das Ganze ist feiner, anspruchsvoller und bedeutender als Herzmanovskys epischer Erstling. Was man schon bei dessen Lektüre vermutete, wird (im Nachwort) von der Gattin des Dichters bestätigt: Herzmanovskys Figuren haben oft reale Urbilder zum Muster. Ob in Tirol, in Wien, in Ungarn und Böhmen oder auf Reisen im Südosten der ehemaligen Monarchie: „immer scharten sich um ihn die unwahrscheinlichsten Gestalten“. Dieser Hinweis in dem klugen und substantiellen Nachwort von Maria Carmen v. Herzmanovsky-Orlando ist ebenso wertvoll wie die Aufschlüsse über Herzmanovskys mystisches Weltbild, die sie uns vermittelt: „Von frühester Jugend an galt seine Liebe dem Studium der matriarchalischen Menschheitsepoche und ihren nach erhaltenen und wirksamen Kräften, wie er sie in Quellheiligtümern, in Kirchen und Kapellen erkannte. Aber auch die Vorstellungsund Verwandlungskraft des griechischen Geistes .. . war ihm aufs genaueste vertraut... Es ist keineswegs Lokalpatriotismus, wenn er den Haupterben dieser Geisteswelt in Oesterreich erblickte und nicht etwa im modernen Griechenland und Italien .. .“

Herzmanovsky entpuppt sich in diesem Buch auch als der einzige, uns bekannte Imperialist, dem die alte Monarchie nicht genügte. Die ganze Levante, meint er, sei dazu bestimmt gewesen, österreichisch zu sein, und nur aus Nachlässigkeit wurde sie nicht in die k. u. k. Verwaltung übernommen. Freilich gab es immer wieder auch finstere Mächte, welche die Oesterreich zugedachte Ausbreitung hinderten: Richard Löwenherz zum Beispiel, der die Babenberger aufhielt, bis nach Indien vorzustoßen und leichte Heurigenstimmung über das Brahminentum zu bringen. Aber es sind das alles im Grunde nur kurzfristige menschliche Verschleppungsversuche ... Inzwischen wird von Beamten beispielsweise die Eroberung Griechenlands ganz im stillen vorbereitet: durch das Dryadometer, „eine mechanische Vorrichtung, um die mehr oder weniger starke Be-nymphung eines Baumes zu messen. .Damit finden wir die heiligen Bäume heraus und können ihr Stellungsnetz festlegen. Gewissermaßen unsere strategischen Stützpunkte. Und zum Zweck einer möglichst unauffälligen Verständigung haben wir ganz Hellas mit Schalmeiposten durchsetzt...“

Soviel vom „Hintergrund“ dieses Buches. — Vor der Aufgabe, den Inhalt dieses phantastischen „Maskenspiels der Genien“ wiederzugeben, streckt der Rezensent die Waffen. Er tut es um so leichteren Herzens, als er hofft, daß Leser, die einmal etwas andere als die übliche gehobene Unterhaltung durch Belletristik suchen, nach diesem unwahrscheinlichen Roman greifen werden. Freilich: in nichts unterscheiden sich die Menschen so sehr wie in dem, was sie komisch, heiter, amüsant und be-lachenswert finden. Mit dieser Einschränkung sei das „Maskenspiel der Genien“ reiferen Lesern bestens empfohlen.

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