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Verbrannte Kastanien

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Wer Politik um des Menschen willen, nicht bloß vordergründig um der Macht willen — vordergründig deswegen, weil der Wille zur Macht die notwendige Voraussetzung für das Machen jeder Politik ist — betreibt, muß sich jener Menschengruppen annehmen, denen keine gesellschaftlichen Druckmittel zur Verfügung stehen.

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Wer Politik um des Menschen willen, nicht bloß vordergründig um der Macht willen — vordergründig deswegen, weil der Wille zur Macht die notwendige Voraussetzung für das Machen jeder Politik ist — betreibt, muß sich jener Menschengruppen annehmen, denen keine gesellschaftlichen Druckmittel zur Verfügung stehen.

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Welche Gruppen sind dies? Auf Österreich bezogen jedenfalls die Kinder (5000 Säuglinge sterben zuviel), die Alten (die meisten vereinsamen) und die Frauen (die Gesellschaft hat ihnen zumindest noch nicht das Gefühl der Gleichberechtigung gegeben).

Die ÖVP hat eine Altenenquete durchgeführt. Sie veranstaltete auch eine öffentlichkeitswirksame Studientagung über die Frau in unserer Gesellschaft, sprich in der Männergesellschaft. Um das Bild voll zu machen, fehlt eigentlich nur noch eine intensivere Beschäftigung mit den Problemen der Kinder. Diese Veranstaltungen lassen sichtlich einen neuen Stil erkennen. Das Ganze hat aber einen großen Mangel: Es besteht keine Möglichkeit zur Exekution der eigenen Vorstellungen.

Allein schon deswegen könnte Kohlmaiers Forderung nach einer Front der Länder und Gemeinden — eine Forderung, die gar nicht erhoben werden müßte, wäre man uneingeschränkt der föderalistischen Ordnung verhaftet, die aber um so wichtiger war, weil de facto der Bund einem Zentralismus huldigt und sich viele „Landesfürsten“ bisweilen zu Worten und Taten drängen lassen, die mehr dem Kantönligeist als dem Prinzip des Föderalismus zuzuordnen sind — über ein parteipolitisches Gewicht hinaus sehr bald staatspolitische Gestaltungskraft erlangen. Man kann annehmen, daß diese Forderung der ÖVP nicht nur der Taktik entsprungen ist, denn Föderalismus und Subsidiarität waren immer Werte, die von dieser Partei mehr oder minder anerkannt wurden. Es steht zu hoffen, daß auch das neue Grundsatzprogramm daran nichts ändern wird.

Sicherlich ist es nicht Aufgabe einer Opposition, für die Regierung iie Kastanien aus dem Feuer zu holen. Aber: die Kastanien, die man selbst essen will oder muß, soll man auch nicht verbrennen lassen.

Um glaubhaft zu werden, täte es der ÖVP gut, in den Bundesländern und Gemeinden, in denen sie heute iie Macht besitzt, koordiniert tätig zu werden. Das heißt, es müßte ein an gemeinsamen österreichweiten Konzepten orientiertes Handeln einsetzen, das auf alle Verschiedenheiten in den einzelnen Gebietskörperschaften Rücksicht nimmt.

Es war sicherlich nicht ernst gemeint, Bundesländer aufzulösen oder Bundesländergrenzen zu verschieben. Aber dieses Gerede sollte doch auch nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Es könnte geeignet sein, einen viel gefährlicheren, weil viel weniger spektakulären Prozeß einzuleiten. Die Stimmen mehren sich, daß für eine Verlagerung von Kompetenzen von Landes- auf Bundesebene gewisse Sachzwänge vorlägen. Man denke nur an die Bereiche Raumordnung, Umweltschutz und Gesundheitswesen.

Eine Länderfront wäre daher weder eine totale Opposition — das Wort „total“ sollte es im Vokabular einer demokratischen Partei überhaupt nicht geben — noch ein Unsinn. Sie wäre vielmehr die Basis für die Verwirklichung oppositioneller Alternativen.

Der Gedanke einer Länderfront müßte der beherrschende Gedanke eines jeden Bundesstaates sein. An dieser Front müßte für Österreich als Ganzes gekämpft werden, damit sich jeder Teil auch die Freiheit bewahren kann, um die Chancengleichheit, von der soviel gesprochen wird, zu verwirklichen.

Die österreichische Volkspartei wird nur dann eine parteipolitisch und staatspolitisch richtige Politik machen können,

• wenn sie auf den Menschen als Einzelwesen gerichtet ist, als einzelne sind aber alle gleich wertvoll, ob sie Gruppen angehören, die streiken können oder nicht, also auch Kinder, Alte oder Frauen;

• wenn sie den soziologischen Veränderungen Rechnung tragend und ihrem Namen gerecht werdend den Nimbus der Unternehmerpartei ablegt — ohne Aufgabe der Interessenvertretung dieser für eine Gemeinschaft so wichtigen Gruppen — und den österreichischen Arbeitnehmern eine Heimat bietet, damit sie nicht in der sozialistischen Emigration verbleiben müssen und

• wenn sie die Aktivierung der einzelnen und der kleinen Gemeinschaften anstrebt und unter Beweis stellt — durch Taten —, daß es kaum „Sachzwänge“ für eine „Verbund-lichung“ gibt.

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