6735965-1966_20_11.jpg
Digital In Arbeit

Die Botschaft der „Alten"'

19451960198020002020

ÜBER DIE PLATONISCHEN MYTHEN. Von Josef Pieper. Kösel-Verlag, München, 1965, 96 Seiten. Preis 7.80 DM.

19451960198020002020

ÜBER DIE PLATONISCHEN MYTHEN. Von Josef Pieper. Kösel-Verlag, München, 1965, 96 Seiten. Preis 7.80 DM.

Werbung
Werbung
Werbung

Die neue Schrift Josef Piepers, Romano Guardini zum 80. Geburtstag gewidmet, gibt wiederum klare und präzise Auskunft über Wahrheit, diesmal aber gefolgt von einer expliziten Kritik an Fehlinterpretationen Platons, wie sie im Lauf der Geschichte immer wieder stattgefunden haben. Diese Kritik ist provoziert sowohl durch das Gewicht des Gegenstandes: die platonischen Mythen als auch durch die bisweilen geradezu grotesken Mißverständnisse (auch und gerade) der gelehrten, als authentisch geltenden Platonkritik, die, wie zum Beispiel die Hegels, für lange Zeit unheil- stiftenderweise bestimmend blieben und den Blick auf den wirklichen Platon verstellten.

Ausgehend von einer Klärung des sehr vieldeutigen und vieldeutig gebrauchten Begriffs „Mythos“, schreitet Pieper fort zur These seines Buches, die sich eng mit der in seiner Rede „Über den Begriff der Tradition“ (46. Sitzung der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen,

16. Jänner 1957) vorgetragenen berührt und die da lautet: Der Mythos im strikten Sinn berichtet in der für seine Zwecke allein adäquaten Form symbolischer Rede über ein zwischen göttlichem und menschlichem Bereich sich zutragendes Geschehen, das überliefert wird von den „Alten“, den ersten Empfängern dieser aus göttlicher Quelle stammenden Kunde, und dieser Kunde wird als der autoritativ sich darbietende Wahrheit auf Grund von Hören geglaubt.

Die Wahrheit des Mythos, der das im philosophischen Denken erreichbare und erreichte, aber auf ihn hin sich öffnende Wahrheitsgut transzendiert, tritt also immer in Gestalt einer erzählten Geschichte auf, niemals als allgemein begriffliche These. Denn es ist so, „daß die für den Menschen eigentlich belangreiche Realität nicht die Struktur des .Sachverhalts ..., sondern die des Ereignisses (besitzt) und daß sie folglich gerade nicht in einer These, sondern allein... in der Wiedergabe einer Handlung, also in einer .Geschichte adäquat zu fassen (ist)“ (Seite 17). Und für Platon und Sokrates — dies die zweite These Piepers — ist dieser von ihnen also keineswegs erfundene, sondern lediglich nacherzählte Mythos im strikten Sinn, das heißt das in allen echten, namentlich den eschatologischen Mythen jenseits ihrer materiellen Vielfalt formell Gemeinte,

eine unantastbare und den ihr Glaubenden heilende und rettende Wahrheit. Das gilt vor allem für die im „Timaios“ erzählte Geschichte von der Weltenschöpfung, für den Bericht von der Urgestalt und vom Sturz des Menschen im „Symposion“, für die eschatologischen Mythen vom Jenseits, vom Gericht und vom Schicksal der Toten in „Gorgias“, „Politeia“ und „Phaidon“. Allein durch die mythische Erzählung aber über das unerfahrbar Zukünftige der „letzten Dinge“ und den unerfahrenen Ursprung der Welt und des Menschen wird auch das Erfahrene und das Gedachte, das Schicksal des geschichtlichen Menschen erst verständlich, ja sein Leben als Mensch ermöglicht (Seite 47, 52). So wird der Mythos für Platon zum Element, vielleicht sogar zum äußersten Akt des Philosophierens selbst, zu dessen letztem, entscheidenden Argument (Seite 73).

Aus all dem wird die von Pieper aufgezeigte, „zu den erstaunlichsten Dingen der Geistesgeschichte“ gehörende Übereinstimmung des platonischen mit dem christlichen Denken offenkundig. Auch der Glaube des Christen geschieht ja ex auditu, aus dem Hören auf eine durch ihren unsichtbaren Urheber verbürgte Botschaft, auf die Autorität Gottes hin. Auch er bezieht sich nicht auf einen denkerischen Sachverhalt, sondern auf die zwischen Gott und Mensch sich begebende Geschichte, die — wie die mythische Wahrheit — von der Entstehung des Kosmos und des Menschen handelt, von dessen urzeitlicher Heils- und Unheilsgeschichte, vom Schicksal der Toten, von Gericht und Vergeltung, von der Vollendung des Menschen im Jenseits. Auch für die Bibel ist wie für Platon die neidlose Güte des Schöpfers Ursache alles Seins. Und es ist nur die allem vorchristlichen Denken gesetzte Grenze (eine Grenze, um die Platon selbst anscheinend ebenso ahnend wußte wie um die, welche ihm als vorchristlichen Denker bei der immer wieder versuchten Scheidung von Wahr und Falsch innerhalb des ihm überkommenen Mythenbestandes gesetzt blieb), wenn das äußerste dessen, was Platon noch sagen konnte, ist, daß die empfangene Botschaft der „Alten“ eine „Gabe der Götter an die Menschen" sei.

Wenn es heute einen Autor gibt, der zu einer wahrhaft fruchtbaren Platon-Lektüre hinführen kann, so ist es Josef Pieper. Das bewies bereits in hohem Grade sein Buch „Begeisterung und göttlicher Wahnsinn“. Das beweist wiederum und, was das Moment der Kritik anlangt, vorzüglicher noch dieses verantwortungsbewußte Buch über die platonischen Mythen. Hier wird gründlich (und bisweilen unter kräftigem, den Leser ansteckenden und ihn befreienden Gelächter über den mannigfaltigen „gelehrten Nonsens“) aufgeräumt, mit ständig tradierten, auf eigenen letzten Stellungnahmen oder Vormeinungen beruhenden rationalistischen Fehlinterpretationen, die sich (notwendigerweise!) bis in verfälschende Textübersetzungen hinein gefährlich auswirken (vgl. Anmerkung V, 15). „Und es wäre wohl die Mühe wert, die verbreitetsten deutschen Platon-Ausgaben einmal daraufhin durchzusehen, was etwa aus einem Grundwort wie Mythos wird. Das Schlimme an solchen Retuschen ist, daß die durch sie bewirkte Fälschung des Gesamtbildes kaum wahrgenommen wird und deshalb auch kaum korrigiert werden kann“ (Seite 64).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung