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Kredit und Gesellschaft

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Staatsbildung und Finanzentwicklung. Von Univ.-Dozent Dr. Johann Schasching SJ. Verlag Felizian Rauch, Innsbruck. 116 Seiten, Preis S 45.60.

Wenn auch nur einen schmalen Sektor der österreichischen Wirtschaftsgeschichte umfassend, ist die reich belegte und aus den Quellen schöpfende Monographie des Innsbrucker Jesuiten-Soziologen über den Staatskredit geeignet, Verständnis für das Denken und Handeln der führenden Männer des theresiani-schen Etatismus zu vermitteln. Der öffentliche Kredit, um dessen Aktivierung in Oesterreich sich insbesondere der Finanzexperte L. von Zinzendorf bemühte, wurde schon vor zwei Jahrhunderten als ein wesentliches Mittel zur Herausbildung einer einheitlichen Staatsverwaltung erkannt. Je mehr sich im Prozeß der Zentralisierung der Verwaltung die politische Macht an der Spitze konzentrierte, um so mehr verlagerte sich auch das Gewicht der Wirtschaftspolitik in die Zentren und um so stärker erwies es sich als notwendig, den neuen finanziellen Ansprüchen der Behörden gerecht zu werden. Man hätte zu neuen Steuern oder Kontributionen Zuflucht nehmen können. Das aber hätte nur eine Umschichtung des Sozialproduktes und eine unwillkommene Distanzierung von der noch nicht allseitig anerkannten Zentralgewalt bedeutet. Die gewachsene Kenntnis der ökonomischen Zusammenhänge ließ die neuen Wirtschaftsführer dagegen die schöpferische Kraft des Kredits erkennen, seine Eignung, nicht nur Defizite zu decken, sondern zusätzliche Fruchtbarkeiten zu schaffen. Gleichzeitig — und das hieß Versuch der Ueberwindung des Frühkapitalismus — sollte der öffentliche Kredit über die Institution einer „politischen“ Bank als Korrektiv gegenüber dem Kreditwucher dienen, als Mittel, den privaten Kapitalismus zu zügeln.

Die neue Einsicht in den Charakter des Kredits trug aber auch dazu bei, die klassischen merkantili-stischen Annahmen (auf primitiven, metallistischen Gedankengängen beruhend), daß Geld an sich schon Wohlfahrt bedeute, zu berichtigen. Geld wurde erkannt als Mittel der Organisation der Wirtschaft, als Anstoß zur Schaffung von zusätzlichen Fruchtbarkeiten.

Der Verfasser schildert in kundiger Weise eingehend den Sachverhalt und die Entwicklung bis zur Liquidation der Experimente, deren Initiatoren ihrer Zeit um ein Jahrhundert voraus waren.

Großindustrie und Gesellschaftsordnung — Industrielle und politische Dynamik. Von Herbert von Beckerath. Verlag J. C. B. Mohr, Tübingen, und Polygraphischer Verlag AG., Zürich. 278 Seiten, Preis DM 19.60.

Jede soziale Ordnung, sie möge aus welcher Situation immer entstehen, wird stets ein Neben- und Nacheinander von sozialen Gruppen sein, die wegen der Unvollkommenheit der menschlichen Natur Machtgruppen sein werden. Einmal waren es die antiken Despoten und ihre Berater, welche das hierarchische Gefüge der Gesellschaft bestimmten, dann wieder etwa das Bürgertum der mittelalterlichen Stadtstaaten, das diesen das Signum seiner aus Erwerbsfleiß und Patriarchalismus kombinierten Gesinnung verlieh.

Die industrielle Gesellschaft — am weitesten wohl | in den USA und in der Sowjetunion ausgeformt — ist wesentlich von den großindustriellen Gebilden konstituiert worden, wobei es so ist, daß konform dem Wachsen dieser Gebilde diese geradezu öffentlich-rechtlichen Charakter erhalten und den Interventionismus des Staates provozieren. Auf Grund ihrer Macht ist die Großindustrie nicht allein eine innerökonomische oder eine fiskalische Angelegenheit, sondern in einem weiten Umfang ein soziales Faktum mit einer arteigenen Logik.

Der Verfasser des vorliegenden Buches, in beiden Hemisphären als akademischer Lehrer tätig gewesen, zeigt in seinem Werk, beginnend mit einem instruktiven geschichtlichen Abriß, den Gang der säkularen Entwicklung, den der Industrialismus in der Realisationsweise des Großbetriebes genommen hat, wobei diese Entwicklung durch einen immanenten Konflikt zwischen Liberalismus (aus dem heraus sich der Industrialismus entwickelt hat) und Monopolismus (als einer Entartungserscheinung) gekennzeichnet ist. Allmählich gesellt sich der Interventionismus, der Eingriff der Behörden in das Getriebe der Wirtschaft, hinzu. Als Resultat zeigt sich, daß der Liberalismus, in seinem Bemühen, die etatistische (merkantilisti-sche) Bevormundung des wirtschaftlichen Handelns zu überwinden, selbst, aus seinem Organisationsgesetz heraus, einen neuen Kollektivismus, wenn auch besonderer Art, geschaffen hat, der die öffentliche Kontrolle rezipierte.

Umfangreiches Zahlenmaterial, welches dem Verfasser zur Verfügung gestanden hatte, macht es ihm möglich, seine Darstellung zu belegen, vor allem hinsichtlich des Faktums des Unternehmens ohne Unternehmer, der Ersetzung des persönlich wagenden Wirtschafters durch den „Leihkapitalisten“. Die anonymen Gebilde, die zwar keinen persönlich haftenden und daher intensiv interessierten Eigentümer kennen, aber doch der personalen Sphäre des Wirtschaftsvollzuges angehören, haben sich nun, nicht allein in den USA, so weit nach vorne geschoben, daß sie bereits jene sagenhafte „dritte“ Macht bilden, welche wohl neben den beiden Extremen von orthodoxem Liberalismus und absolutem Kollektivismus bestehen kann.

Nun muß sich aber der Großbetrieb seit der Jahrhundertwende wohl oder übel mit dem Vorhandensein einer Mit-Macht abfinden, mit den Gewerkschaften, die in ihrer Art ebenfalls marktrelevanten Charakter besitzen. Daher auch die relative Ausgewogenheit des „Arbeitsmarktes“, der nicht mehr Menschenmarkt im antiken Sinn ist. Beide, Manager, als d i e Unternehmer unserer Zeit, und Gewerkschaftsführer, als die monopolistische Positionen einnehmenden Anbieter von Arbeitskraft, sind heute gleich bedeutsam wie die alten Landstände. Sie haben — über die „pressure groups“ — die Macht, die Gesellschaft, im Bereich der industriellen Fertigung, maßgeblich zu formen. Aus diesem Machtgleichgewicht der gesellschaftlichen Großgruppen ist das entstanden, was man den Wohlfahrtsstaat nennt, jene Vereinigung privatwirtschaftlicher und etatistischer Ver-waltungs- und Verteilungsgrundsätze, die, wenn auch auf Kosten der persönlichen Freiheit, Elend und provokatorischen Reichtum zur ausnahmsweisen Situation in der Gesellschaft gemacht haben.

Das Buch ist in einem ansprechenden Plauderton geschrieben und verlangt so gut wie keine speziellen Vorkenntnisse, so daß es einer weiten Verbreitung sicher ist.

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