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Verknpfung nicht notwendig

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Auch Calvez räumt in seihar Arbeit über Marx ein, „daß der Marxismus nicht an und für sich ein streitbarer Atheismus ist“. Obwohl er die Bedeutung des streitbaren Atheismus des 18. Jahrhunderts im Kampf gegen Aberglauben, Feudalismus und Absolutismus zu würdigen wußte, hatte Marx von Hegel die Erkenntnis übernommen, daß die Religion nicht einfach eine Erfindung „betrügender Priesterschaft“ zum Vorteil eines „unterdrückenden Despoten“ ist. Aber die Vorstellungswelt des jungen Marx war durch die Vision Fichtes und Hegels mitbestimmt, dem Menschen die an Götter entäußerte Macht wieder zurückzugeben, wobei er in seiner Religionskritik vom Grundsatz Feuerbachs ausging, daß „der Mensch der Anfang der Religion, der Mittelpunkt der Religion, das Ende der Religion ist“. Da er seine Reliffions-kritik zum Ausgang einer Gesellschaftskritik machte, die religiöse Entfremdung als Ausdruck einer allgemeinen Entfremdung des Menschen sah, ging er über Feuerbach und die Junghegelianer hinaus und konnte in den „ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ (1844) schreiben:

„Der Atheismus... hat keinen Sinn mehr, denn der Atheismus ist eine Negation des Gottes und setzt durch diese Negation das Dasein des Menschen; aber der Sozialismus als Sozialismus bedarf einer solchen Vermittlung nicht mehr; er beginnt von dem theoretisch und praktisch sinnlichen Bewußtsein des Menschen und der Natur als des Wesens. Es ist positives, nicht mehr durch die Aufhebung der Religion vermitteltes Selbstbewußtsein des Menschen.“

In diesem Sinn wertete der junge Marx die religiöse Entfremdung, das religiöse Elend als Ausdruck des irdischen Elends und als Protest gegen das Elend, die Projektion menschlichen Hoffens in ein Außerhalb als Seufzer der gequälten

Kreatur, als Opium des Volkes. Die Kritik des Himmels verwandelte sich in eine Kritik der Erde, in den Versuch einer wissenschaftlichen Analyse Her menschlichen Gesellschaft und einer wissenschaftlichen Methodologie der gesellschaftlichen Praxis, die — wie jede andere wissenschaftliche Methodologie — naturgemäß atheistisch sein muß.

Im wissenschaftlichen Charakter seiner Gesellschaftskritik und seiner Zukunftsvision liegt auch das Geheimnis der „politischen Durchschlagskraft, die der Marxismus in seiner Geschichte bewiesen hat“. Daß er dabei auf christliche Staaten stieß, die keine staatliche Verwirklichung des Christentums waren und sich außerstande erwiesen, „die menschliche Grundlage auszuführen, deren überschwenglicher Ausdruck das Christentum ist“; auf einen Klerus, der sich gegen die sozialistische Arbeiterbewegung stellte und ein Christentum predigte, das die gläubigen Menschen zur Resignation im irdischen Jammertal aufforderte und — wie Teilhard de Chardin schrieb — als „Opium für das Volk“ erscheinen mußte —, das hat ohne Zweifel die im Zeichen des Marxismus aufsteigende Arbeiterbewegung mitgeprägt.

Daß diese „Verknüpfung“ durchaus nicht notwendig ist, beweist die „hohe Zeit“ marxistischer Parteien in den dreißiger und vierziger Jahren im Kampf gegen den Faschismus und

in der Resistance. Die Volksfrontbewegung der romanischen Länder stand im Zeichen der kommunistischen Losung, daß es keinen Sinn habe, über den Himmel zu streiten, sondern daß es darum gehe, die Hölle auf Erden zu verhindern. Und in der Resistance fanden sich die Bekenner der beiden stärksten Gesinnungsgemeinschaften, wie

Louis Aragon in einer berühmten Ballade gesungen hat: Celui qui croyait au ciel Celui qui n'y croyait pas ... Et leur sang rouge qui ruisselle Meme couleur meme eclat.

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