Die Krise ist weiblich

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Die Ökonomin/Politikwissenschafterin Gabriele Michalitsch tritt dem Vorurteil entgegen, dass die Opfer der Krise primär Männer wären. Frauen werden vermehrt aus den Berufen gedrängt.

Männer sind die Opfer der Krise, lautet die im letzten Jahr immer wieder medial transportierte Botschaft. Verwiesen wird dabei auf beträchtlich steigende Männerarbeitslosigkeit, während zunehmende Erwerbslosigkeit von Frauen weitgehend ausgeblendet wird. Dabei unterschätzen die ausgewiesenen Zahlen das tatsächliche Ausmaß von Frauenarbeitslosigkeit systematisch. Denn vorrangig Frauen sind – infolge fehlenden Anspruchs auf Arbeitslosengeld – vielfach gar nicht als arbeitslos registriert und stellen einen deutlich höheren Anteil an der „Stillen Reserve“ des Arbeitsmarktes dar.

Neben Erwerbslosigkeit nimmt aber auch die Prekarisierung weiblicher Beschäftigung kontinuierlich zu. Steigender Druck auf die privaten Haushalte, krisenbedingte Einkommensrückgänge durch vermehrte Eigenleistungen auszugleichen, führt darüber hinaus zu vermehrter nach wie vor primär Frauen zugewiesener, unbezahlter Arbeit – und stützt damit die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung mit allen sie begleitenden Ungleichheiten. Im Zuge der Krise verschärfen sich folglich sozioökonomische Geschlechterhierarchien.

Konjunkturpolitische Maßnahmen aber konzentrieren sich auf von Männern dominierte Industriebranchen und das Bauwesen. Gender Mainstreaming erweist sich hierbei einmal mehr als wenig durchschlagskräftige Strategie. Ausdrücklich auf alle Politikbereiche hin konzipiert, kommt es doch – völlig sanktionslos – in wirtschaftspolitischen Kontexten nicht zur Anwendung. Dabei ließen sich Konjunktur- und Gleichstellungspolitik leicht verbinden.

Gleichstellungsimpulse

Investitionen in Bildung, Pflege und Betreuung kommt eine Schlüsselrolle zu, sollen Konjunktur stützend Arbeitsplätze geschaffen, aber auch gleichstellungspolitische Impulse gesetzt werden. In die Qualität von Bildung zu investieren, hieße hierbei etwa auch, der gesellschaftlichen Produktion und Verankerung von Geschlechterstereotypen im gesamten Bildungswesen und in weiterer Folge geschlechtsspezifischen Bildungsmustern entgegenzuwirken. Mit der Ausweitung öffentlicher Pflege- und Betreuungsangebote würde nicht nur dem steigenden Bedarf entsprochen, sondern auch das Ausmaß unbezahlter, vorrangig weiblicher Arbeit im „Privaten“ reduziert. Darüber hinaus stellt generelle Arbeitszeitverkürzung nach wie vor eine wesentliche Strategie dar, um Erwerbsarbeit und unbezahlte Versorgungsarbeit gleicher zu verteilen. Im Hinblick auf die Stützung des privaten Konsums und zur Bekämpfung steigender Armut, müsste Krisenpolitik aber auch Umverteilung zugunsten des unteren Einkommensdrittels, in dem Frauen deutlich überrepräsentiert sind, einschließen.

Geschlechterstereotypen

Solche möglichen Ansatzpunkte von Konjunkturpolitik werden ebenso wie retraditionalisierende Geschlechtereffekte der Krise in der öffentlichen Debatte weitgehend negiert, Gleichstellungsforderungen gleichzeitig mit Verweis auf die Krise und ihre Kosten abgewehrt. Konjunktur hat hingegen die mediale Reproduktion von Geschlechterstereotypen. Die Funktionsweise von Kapitalismus und seine inhärente Krisendynamik verschleiernd, fokussiert die mediale Ergründung der Krisenursachen auf der Suche nach einfachen Antworten nicht auf Hinterfragung ökonomischer Systemrationalität und mit ihr verknüpfter Männlichkeitsentwürfe, sondern auf individuelles Verhalten männlicher Entscheidungsträger. Diese werden im Rückgriff auf ihre „Natur“ zugleich exkulpiert. Zwar hätten männliche Risikobereitschaft und Profitgier die Krise hervorgerufen – Frauen seien eben mehr auf Sicherheit und soziale Zusammenhänge bedacht, folglich risikoaverser und weniger auf skrupellose Profitmaximierung fixiert –, verantwortlich dafür sei jedoch deren hormonelle Konstitution: Testosteron avanciert so zur tiefer liegenden Krisenursache.

Geschlechterstereotypen werden damit neu belebt und einmal mehr biologistisch in „Natur“ verankert, während die diskursive Hervorhebung von Männern als primären Krisenopfern und die gleichzeitige De-Thematisierung frauenspezifischer Kriseneffekte männliche Interessenidentität suggeriert und damit Solidarisierung zwischen Männern ebenso wie politische Integration über Männlichkeit, wie sie rechtsextreme Parteien vorexerzieren, stützt. Krisendiskurs und Geschlechterdiskurs sind ineinander verwoben, stets ist Geschlecht in Erzählweisen der Krise eingelassen. In welcher Weise Geschlechterverhältnisse thematisiert und ausgeblendet werden, wird von diskursiven Strategien des Benennens und Verschweigens bestimmt. Sie setzen die Maßstäbe, anhand derer die Krise definiert und vermessen wird, wen sie trifft und wie ihr zu begegnen ist. Auch die Ausrichtung bevorstehender Sparprogramme infolge der Stabilisierungskosten wird solcherart vorbereitet. Männer generell zu bevorzugten Opfern der Krise zu stilisieren, erzeugt einen Krisenmythos, der als Instrument der Absicherung des Status quo, der Annehmbarkeit der bestehenden hierarchischen Geschlechterordnung und der mit ihr einhergehenden Machtverhältnisse dient.

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