"Ein Ozean voll Feuer dazwischen"

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Umerziehungsversuche bei den Amerikanern soll sich Europa sparen, fordert FAZ-Redakteur Matthias Rüb, denn wer einen Hammer hat, sieht Probleme als Nägel.

Sag mir, was du singst, und ich sag dir, wer du bist. Auf diese Zuspitzung treibt Matthias Rübs Buch "Der atlantische Graben" zu: Die offizielle Hymne der Vereinigten Staaten schrieb Francis Scott Key, angeregt durch den Angriff britischer Truppen auf Washington von 1814. In der ersten Strophe des "Star Spangled Banner" ist von Raketen und Bomben, von der Flagge, von Freien und Tapferen die Rede.

"Imagine" von John Lennon wiederum ist für Rüb die inoffizielle Hymne Europas. Von Raketen und Bomben und Flaggen ist darin nicht die Rede, dafür von einer Zeit, in der es keine Nationen und Religionen mehr gibt, für die es sich zu sterben lohnt, und von einer Welt, in der alle Menschen in Frieden leben werden.

Beide Hymnen sind nicht erst heute geschrieben worden, die eine ist Jahrhunderte, die andere Jahrzehnte alt. Genauso ist der Graben in den transatlantischen Beziehungen nicht erst heute aufgerissen, schreibt Rüb: "Hätte es nicht schon lange vor dem 11. September 2001 tief greifende strukturelle Konflikte zwischen den Vereinigten Staaten und ihren europäischen Partnern gegeben, der Abstieg vom Gipfel der Solidarität in die Niederungen des Zwists um Prinzipien und Einfluss wäre niemals so rasch erfolgt."

Die strukturellen Konflikte zwischen den USA und Europa liegen für den Nordamerika-Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor allem im Auserwähltheitsgedanken der Amerikaner, in ihrem Verständnis von Freiheit und Religion, das in Europa auf absolutes Unverständnis stößt. Umgekehrt verstehen die Amerikaner nicht, dass Europa die "Jahrhundertbedrohung durch den internationalen Terrorismus nicht versteht". Als einen Grund für das Unverständnis nennt der Autor, dass starke Mächte die Welt naturgemäß anders sehen als schwache und zitiert den konservativen Publizisten Robert Kagan: "Wer einen Hammer hat, für den nehmen die meisten Probleme die Gestalt von Nägeln an."

Matthias Rübs Sympathien gelten eindeutig der westlichen Seite des atlantischen Grabens, deswegen wundert auch das Fazit seiner Analyse nicht: "Wer Einfluß haben will in Washington, sollte Umerziehungsversuche unterlassen und weder offen noch im Geheimen in Europa einen Gegenpol' aufzubauen versuchen."

Vor Europareisen gewarnt

Keine Gegnerschaft aufbauen, stattdessen erklären, warum die Alte und Neue Welt schon seit jeher Gegenpole waren - dieser Aufgabe hat sich der Sammelband "Transatlantische Differenzen/ Transatlantic Differences" verschrieben. So wie der Titel des Buches sind auch die Beiträge zweisprachig gehalten, lieferte doch ein Symposium des Forums St. Stephan - eine interdisziplinäre Diskussionsplattform - den Ausgangspunkt für dieses Buch.

Der Grazer Anglist und Amerikanist Waldemar Zacharasiewicz nähert sich den transatlantischen Differenzen in kulturhistorischer Perspektive und zeigt die seit Jahrhunderten gepflegten gegenseitigen Vorurteile: So gab es den Boykott europäischer Produkte und Lebensweise auch schon lange vor dem Ausbruch des Irak-Krieges: Während in Europa die napoleonischen Kriege tobten, hat US-Präsident Thomas Jefferson einen jungen Verwandten eindringlich von einer Europareise abgeraten - aus Sorge, der Reisende könnte sich von der "European luxury and dissipation" anstecken lassen. Anderswo in seiner Korrespondenz wünschte sich Jefferson gar als Barriere einen "ocean of fire between us and the old world".

Der Sammelband bietet eine Zusammenschau politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verschiedenheiten diesseits und jenseits des Atlantiks, hinzu kommen Aufsätze zu den jeweiligen Eigenheiten in Alltagswelt, Religion und Justiz. Dass dabei die USA genausowenig wie Europa als monolithischer Block gezeigt werden, spricht für die Qualität des Buches. Denn wie in Europa war man sich in Amerika seit jeher der Unterschiede bewusst: Der Südstaatler Johnston Pettigrew zum Beispiel lobt im 19. Jahrhundert die Österreicher für ihre der eigenen nicht unähnlichen Lebensart, während die Preußen für ihn allzusehr den unguten Yankees gleichen. WM

DER ATLANTISCHE GRABEN

Europa und Amerika auf getrennten Wegen. Von Matthias Rüb,

Paul Zsolnay Verlag, Wien 2004,

205 Seiten, geb., e 18,40

TRANSATLANTISCHE DIFFERENZEN/

Transatlantic Differences

Von Waldemar Zacharasiewicz (Hg.)

Böhlau Verlag, Wien u. a. 2004,

284 Seiten, brosch., e 29,90

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