Gefahr durch wuchernden Wildwuchs

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Der Österreichische Restauratorenverband schlägt Alarm, denn da Restauratoren in Österreich keinen Berufsschutz haben, leiden oft Kulturgüter.

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Der Österreichische Restauratorenverband schlägt Alarm, denn da Restauratoren in Österreich keinen Berufsschutz haben, leiden oft Kulturgüter.

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Wenn ich gerufen werde, ist das meist eine Notmaßnahme. Ich könnte mir ein Blaulicht aufs Auto montieren", sagt Stefan Kainz. Er ist weder Feuerwehrmann noch Polizist oder Notarzt, sondern Restaurator. Kommt die Rettungsmaßnahme für historische Kastenfenster, Deckenfresken, Leuchter, Skulpturen, Möbel oder anderes zu spät, sind sie unwiederbringlich verloren. Sachgemäße Wartung oder rechtzeitige Präventivmaßnahmen könnten wahre Wunder wirken, in der Praxis altert Kulturerbe so lange in Anmut und Würde , bis es fast zu spät ist. Stefan Kainz mangelt es nicht an Noteinsätzen. "So weit sollte es nicht kommen. Meist würden Wartungs- und Pflegeverträge die Kosten auf lange Sicht senken. Auf alle Fälle sind sie objektschonender. Das ist mit Geld nicht aufzuwiegen."

Im Bereich der Instandhaltung gibt es mehr als genug zu tun. Spezialisten, die die richtigen Sanierungsmaßnahmen auswählen können, schon weniger. Wesentlich zur Erhaltung historischer Objekte ist neben dem richtigen Zeitpunkt, dass sie in kundige Hände kommen. Nicht jeder, der sich Restaurator nennt, hat die Qualifikation, die für ein richtiges Sanierungskonzept nötig ist. Der Österreichische Restauratorenverband garantiert fachliche Qualitätsstandards seiner Mitglieder. In manchen Fällen können nicht einmal mehr sie helfen.

"Ich wurde gebeten, eine Objektgruppe kirchlicher Geräte zu beurteilen, die nicht sachgemäß bearbeitet worden waren. Ich konnte nur noch einen Wertverlust von 100 Prozent feststellen", beklagt Verena Krehon, die an der Meisterklasse für Restaurierung, Abteilung Metall, an der Hochschule für Angewandte Kunst ihren Beruf gelernt hat. "Ein fahrender Restaurator aus Italien hatte dem dortigen Pfarrer seine Dienste angeboten, der ihm vertrauensselig quer durch die Jahrhunderte einen ansehnlichen Bestand an Kultobjekten überließ." 400.000 Schilling aus seinem Privatvermögen investierte der Pfarrer in den "Restaurator".

Nicht einmal die Rechnung dafür ist gültig. "Vom Biedermeier bis zur Renaissance wurde alles gleich behandelt und mit der selben goldenen Lackschichte überzogen. Seine irreversible Methode ist nur noch mechanisch wegzuschleifen", bedauert Krehon. Als der Pfarrer wissen wollte, wie viel sie verlangt hätte, konnte sie nur passen: "Ich hab's vorher nicht gesehen." Hier ist altes Kulturgut für immer verloren, der ursprüngliche Zustand nicht mehr herzustellen. "Es gibt oft ein Missverständnis mit historischer Substanz. Viele tun ihrer Meinung nach das Beste. Was golden glänzt, muss noch nicht die historische Substanz erhalten", so Krehon.

Der restauratorisch richtige Mut zum Fragment fehlt vielen Auftraggebern. Doch Restauratoren haben Verständnis für die Grenzen der Laien. "Ich hatte eine blechbeschlagene Sakristeitür zu restaurieren. Sie war von lockerem Rost befallen, den ich entfernt und stabilisiert habe, doch ich wollte nicht streichen. Der Pfarrer aber meinte, wenn ich es nicht tue, streicht er drüber", erzählt Restauratorin Silvia Miklin-Kniefacz. "So wählte ich eine Methode, die sich leicht entfernen lässt: reversiblen Anstrich."

Etwa 500 Personen führen in Österreich die Berufsbezeichnung Restaurator, Berufsschutz haben sie keinen. "Es gibt Baufirmen, die restaurieren, oder Handwerker, die sich Zusatzwissen holen. Außerdem Einzelpersonen, Absolventen diverser Seminare, Schnupper- oder Volkshochschulkurse. Genug private Anbieter stellen Zeugnisse aus. Die muss man sehr kritisch betrachten. In drei Wochen ist das Fachwissen nicht zu lernen, das sich andere in jahrelangem Studium aneignen", sagt Miklin-Kniefacz. Sie diplomierte 1982 an der Hochschule für Angewandte Kunst. Dort gab es damals zwei Abteilungen in der Meisterklasse für Restaurierung: Gemälde und Metall.

Miklin-Kniefacz wählte Metall, lernte fünf Jahre Schweißen, Löten, Treiben, Gravieren, außerdem Analysemethoden, Dokumentation, Kunstgeschichte und Theorie rund ums Objekt. Inzwischen gibt es auch Textil, Stein und Archäologische Objekte, 30 Studenten traten heuer den Weg zum akademischen Restaurator an. Dazu bildet auch die Akademie der Bildenden Künste am Schillerplatz aus: Gemälde, Papier, Musikinstrumente, Skulptur und Wandmalereien werden dort als Spezialfächer geboten.

In der Berufspraxis ziehen die hochqualifizierten Absolventen oft im Kampf gegen Billigbieter den Kürzeren. Um dem Wildwuchs in der berufsschutzlosen Branche Einhalt zu gebieten, wurde 1985 der Österreichische Restauratorenverband gegründet. Sein Ziel ist die Anerkennung und Umsetzung eines international gültigen Qualitätsstandards, er ist Mitglied der E.C.C.O., der European Confederation of Conservator Restorers' Organisations.

Präsidentin Silvia Miklin-Kniefacz: "Wir haben genaue Regeln für Mitglieder: Entweder man ist akademisch ausgebildet oder man kann seine restauratorischen Fähigkeiten nachweisen." Dafür muss ein Aufnahmeantrag an den Verband gestellt werden. Eine ausgewählte Fachjury begutachtet die vorgelegten Arbeitsdokumentationen und Proben, in persönlichen Gesprächen muss das zukünftige Mitglied zusätzlich überzeugen.

Stefan Kainz hat sein Restauratorwissen nicht von der Akademie. Der gelernte Tischler ist Spezialist für Holzobjekte und Möbel. Seine Ausbildung gibt es in Österreich noch nicht. Seit 17 Jahren beschäftigt er sich mit historischer Holzbearbeitung, seit zwölf Jahren ist er selbständiger Restaurator. "Ich hab die Tischlerausbildung bis zur Meisterprüfung, war dann in Venedig und hab mir über internationale Kontakte viel fachspezifisches Wissen angeeignet. In Deutschland gibt es Fachhochschulen für Handwerk in der Denkmalpflege, auch die EU fördert das. Bei uns klafft eine Lücke zwischen den beiden Sparten, aber das ist in Zukunft kein gangbarer Weg", meint Kainz.

Alte handwerkliche Techniken, Dokumentationen des Übernahmezustandes, Schadensanalyse, Erstellung von Sanierungskonzepten mit modernen Methoden, richtige Materialien und Werkzeuge, das Wissen um Zusammenhänge - all das geht über normales Handwerk weit hinaus, erklärt Kainz: "Im Handwerk wird man heute zum Maschinenarbeiter. Ein Biedermeierfenster aber muss man mit dem Handhobel bearbeiten, der Anschluss eines Kastenfensters an den Putz ist wichtig. Auch historische Fehler gibt es. Erst mit viel Erfahrung kennt man die Probleme."

Die Aufgabenfelder für Restauratoren werden immer umfangreicher: moderne Kunstwerke, die Betonsanierung der Architektur der klassischen Moderne, die Arbeit an Museen oder im künstlerischen Bereich, die Begleitung des international üblichen Austausches historischer Kunstwerke.

Eine Musterrestaurierung ist die Basilika Mariazell: Dort agierte Erika Thümmel als koordinierendes Bindeglied zwischen Fachrestauratoren und Baumeistern. Die Basilika ist neben dem Wallfahrtsbetrieb seit 15 Jahren eine Großbaustelle, allein am Hochaltar arbeiteten fünf Fachrestauratoren. Thümmel war für jede Fachgruppe Ansprechpartnerin, behielt den Überblick über das Ganze und konnte als Fürsprecherin für Restauratorenbelange rechtzeitig mit dem Baumeister erhöhte Kosten, Einsparungen, Arbeitsschritte, Verzögerungen oder Veränderungen besprechen. Diese Funktion der Koordinationsstelle bewährte sich. Unter dem Schutzmantel der Magna Mater Austriae, wo die Restauratoren bisher so glücklich wirkten, wird heuer Ende September der Österreichische Restauratorenverband tagen, Fachreferenten werden ihren qualifizierten Kollegen Einblicke in unterschiedliche Bereiche geben. Auch die Koordination eines Großprojektes, wie sie Erika Thümmel in der Basilika leistet, zählt dazu.

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