Lachen als Rettung?

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David Grossmans neuer Roman "Kommt ein Pferd in die Bar" beginnt zwar als Standup-Comedy, erweist sich dann aber als berührende Erzählung über Tod und Trauer.

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David Grossmans neuer Roman "Kommt ein Pferd in die Bar" beginnt zwar als Standup-Comedy, erweist sich dann aber als berührende Erzählung über Tod und Trauer.

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Er schrieb an seinem Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" - da starb sein Sohn Uri beim Militäreinsatz im Libanon. (Die Nachricht, vor der die Frau im Roman floh, war jene über den Tod ihres Sohnes. Sie wollte diese Nachricht nie erhalten.) David Grossman, der nicht nur in seinen literarischen Werken für den Frieden in und um Israel eintritt und der, wie er einmal in einem Interview sagte, "die besten Seiten dieses Landes blühen sehen möchte", wurde so auf schlimmste Weise von den Folgen des tatsächlichen Unfriedens heimgesucht. Mit seinem Buch "Aus der Zeit fallen" versuchte er den entsetzlichen Verlust des eigenen Sohnes literarisch zu bearbeiten. Auch sein neuester Roman "Kommt ein Pferd in die Bar" ist eine Art Trauerbuch, wenngleich es auf den ersten Blick überhaupt nicht danach aussieht.

Witz an Witz

Der Titel liest sich wie der Beginn eines Witzes -und tatsächlich reiht sich zunächst Witz an Witz, geistreiche und wenig geistreiche, politisch unkorrekte, gemeine und sexistische Witze, Witze, die witzig sind, Witze, über die man gar nicht lachen kann, und Witze, die kohlrabenschwarz die Lebenswirklichkeit in Israel aufspießen - Antisemiten, Linke, Siedler oder Araber: kaum wer bleibt verschont bei dieser Standup-Comedy. Auf der Bühne in Netanja steht der 57-jährige Dovele Grinstein und schlägt sich sogar ab und zu selbst, während das Publikum sich grölend auf die Schenkel klopft. "Alles ist möglich!", "alles ist erlaubt!"

Warum sollte man so etwas lesen? Falls man nach den ersten Seiten so denkt, hat man in gewisser Weise bereits die Perspektive des Ich-Erzählers eingenommen. Der ehemalige Richter Avischai Lasar sitzt nämlich mehr als skeptisch im Publikum, er kann Stand-up-Comedys nicht ausstehen, auch diese nicht, über derartige Witze kann er nicht lachen. Er sitzt da, weil er es Dovele versprochen hat. Vor zwei Wochen hat der Richter (er ist bereits im Ruhestand, denn seine Urteile wurden zu aggressiv) nämlich einen eigenartigen Anruf bekommen.

Dovele hat sich als Freund aus Kindertagen vorgestellt, seit Jahrzehnten hatten sie einander nicht mehr gesehen. Er hat den Richter gebeten, zu seiner Vorstellung zu kommen, ihm zuzusehen - um ihm hinterher zu sagen, was er gesehen habe. Er wünsche dabei kein Urteil, sondern der Richter solle sehen, "was von einem Menschen ausgeht, ohne dass er Kontrolle darüber hat", was "außer ihm kein Mensch sonst auf der Welt besitzt." - "Die Ausstrahlung der Persönlichkeit" also, denkt der Richter, "das innere Leuchten. Oder das innere Dunkel. Dieses Geheimnis, dieses Beben der Einmaligkeit. Alles, was jenseits der Worte liegt, die einen Menschen beschreiben, was auch tiefer geht als die Dinge, die ihm im Leben widerfahren, die schiefgegangen und zu einem Lügengespinst geworden sind."

Mitten im Publikum

Während die auch vulgären Schmähs auf das Publikum im Saal prasseln (und auf die Leser des Buches), wird deutlich, wie Menschen zur Masse modelliert werden können, wie sie sich so manipulieren lassen, dass sie begeistert "App-laus-für-den-Tod!" klatschen.

Grossman macht seine Leserinnen und Leser dabei geschickt zu Komplizen. Denn man sitzt, indem man liest, mitten im Raum, hat die Entscheidung, entweder mit jenen, die dann nach und nach den Saal verlassen, zu gehen (das Buch zuzuschlagen) oder zu bleiben (weiterzulesen). Auch dafür kann es unterschiedliche Gründe geben: Denn es hat ja durchaus etwas Verlockendes, einen "Blick in die Hölle von jemand anderem" zu werfen.

Dass sich eine solche auftut, wird zwischen den weniger werdenden Witzen immer deutlicher. Comedy ist das bald keine mehr, wenn Dovele beginnt seine Geschichte zu erzählen, ausgelöst durch die Anwesenheit des Richters -oder durch jene Frau im Publikum, die ihn als Kind kannte und die ihm nun sagt: "Du warst doch ein guter Junge!"

Nach und nach verschwinden die witzbegierigen Zuseher, wütend über diese Art von Show. Fast hört man es lesend stiller werden im Saal. Immer intensiver wird die Geschichte, die Dovele nun weitererzählt und die in jene Zeit zurückführt, als er und der Richter einander zuletzt gesehen haben. Damals waren sie als 14-Jährige gemeinsam in einem paramilitärischen Jugendcamp.

Witz als Personenschutz

Eines Tages wird Dovele dort abgeholt, es fällt das Wort "Waisenkind", mehr erfährt er nicht und er fragt auch nicht. Der Fahrer, der ihn rechtzeitig zum Begräbnis bringen soll, erzählt ihm Witze, quasi als "Personenschutz". Wie Grossman nun seinen Dovele diese Fahrt vor 43 Jahren erzählen lässt (und das mit Reflexionen und Erinnerungen des Richters verbindet), das ist große Kunst. Und wie er die Abgründe sichtbar macht, die Dovele bis heute quälen, sein inneres Abwägen damals, wer von den Eltern nun tot sein und wer leben soll - wie er eine Selektion vornimmt.

Hier erzählt sich aber auch die Geschichte der Eltern mit, ihr mühevoller Alltag, ihre Traumata. Die Mutter überlebte knapp die Schoa - ein halbes Jahr lang wurde sie in einem Zug in einer Art Verschlag von drei polnischen Lokomotivführern versteckt. "Die haben sich mit dem Beschützen abgewechselt", eines Tages aber wurde sie "einfach rausgesetzt","direkt auf die Rampe". Vor diesem Abgrund entstand die Komik: Denn Dovele begann als Kind auf den Händen zu gehen, um die tieftraurige Mutter zum Lachen zu bringen. Er dachte sich jeden Tag eine neue Show für sie aus.

"Jeder Witz ist schwarzer Humor", sagte George Tabori einmal. "Alle meine Lieblingswitze haben etwas Furchtbares an sich". Aber er sagte auch: "Der Witz ist sozusagen ein Rettungsring ..."

Kommt ein Pferd in die Bar

Roman von David Grossman

Aus dem Hebr. von Anne Birkenhauer

Hanser 2015

251 Seiten, geb., € 20,50

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