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Katholik und Psychotherapie

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Von Erzblschof-Koadjutor Dr. Franz Jachy m. Heft 2 der Kleinschriftenreihe Die Begegnung. Verlag

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Von Erzblschof-Koadjutor Dr. Franz Jachy m. Heft 2 der Kleinschriftenreihe Die Begegnung. Verlag

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der Caritas der Erzdiözese Wien, 1955.

Die Schrift ist die authentische Wiedergabe eines großangelegten Vortrages, der am 29. Jänner 1954 in der Wiener Katholischen Akademie gehalten wurde. Es handelt sich zunächst um eine autoritative Interpretation der Ansprache, die Papst Pius XII. am 13. April 1953 an den Kongreß für Psychothera-peutik und klinische Psychologie gerichtet hat; zugleich auch um eine Stellungnahme zu beunruhigenden Aeußerungen über ein Verbot der Psychoanalyse für Katholiken (Msgr. Felici, A. Gemelli u. a.). Die Papstansprache hat sich in erster Linie gegen verbreitete Zeitirrtümer gerichtet und ihnen gegenüber die ewigen und unabänderlichen Wahrheiten klar und richtungweisend herausgestellt. Die vier großen Themen der Papstansprache werden im einzelnen genauer erörtert: 1. Der Mensch als psychische Einheit und Ganzheit; 2. der Mensch als eine in sich geschlossene Einheit; 3. der Mensch als soziale Einheit; 4. der Mensch als transzendente, d. h. zu Gott strebende Einheit.

In einem einleitenden Ueberblick über die historische Entwicklung zeigt der bischöfliche Autor, daß ei sich bei der Psychotherapie um ein uraltes Menschheitsanliegen handelt. Er weist auf die Schätze der Erkenntnis hin, die St. Thomas von Aquin in seiner Summa zusammengefaßt, für die er in einer Philosophia perennis die ein für allemal gültigen Begriffe geprägt hat. Erst in jüngster Zeit hat der Psychiater der Universität Buenos Aires, Professor Eduardo K r a p f, gezeigt, wie die thomistische Philosophie und Psychologie den einzigen Schlüssel darstellt, der in das komplizierte Schloß der modernen Problematik paßt. Krapf zeigt auch, wie vollkommen sich die moderne Tiefenpsychologie mit der thomi-Stischen Seelenlehre in Uebereinstimmung bringen läßt.

In dieser Einleitung zeigt Erzbischof-Koadjutor Dr. Jachym, wie unter den Richtungen der heutigen Psychotherapie noch alles im Fluß ist; wie sehr diese Richtungen noch von gegenseitigem Verstehen, geschweige denn von allgemeingültigen Erkenntnissen entfernt sind. Wir können hinzusetzen: Um so weiter entfernt, je mehr sie von der Grundlage der Philosophia perennis entfernt sind. Dies zeigt sich am deutlichsten an einer Richtung, die in dieser Schrift zwar mit unverkennbarem Wohlwollen behandelt wird; die aber ebenso unverkennbar mit dem Existentialismus verbunden ist und zudem den Standort des Trichotomismus festhält, d. h. das Geistige und das Seelische als „zwei wesensverschiedene Bereiche“ betrachtet (S. 17).

Dieser Hinweis führt mitten ins erste Hauptthema der Papstansprache hinein: ,,Der Mensch als psychische Einheit und Ganzheit“. Mit dem hohen Autor können wir sagen, daß hier der Papst zum Anwalt der einen und unteilbaren Seele, der spezifisch

menschlichen Geist-Seele (Anima rationalis) auftritt. Jachym zeigt in diesem Abschnitt die großen Einseitigkeiten auf, an denen die bisherigen Schulen gelitten haben: Er zeigt die Einseitigkeit bei Freud in der ausschließlichen Kausalität der Triebverhaftung, den biologischen Determinismus; bei Adler in der Finalität des Geltungsstrebens und im sozialen Milieu-Determinismus. Die Einseitigkeit, mit der die Existenzanalyse den Begriff der „Existenzerhellung“ geprägt hat, wird nur gestreift; auf die Einseitigkeit, die erklärt, daß das „Psychophysicum“ den menschlichen Geist nur bedingt bzw. trichotomistisch zwischen dem „Psychophysikum“ und dem Geist den Trennungsstrich zieht (S. 14), wird nicht näher eingegangen. Dafür wird mit klarer Entschiedenheit die Einseitigkeit der Richtung von C. G. Jung aufgezeigt und ihre Abwegigkeit, die die Religion nur als „Wandlungsform“ auf die Libido zurückführt (S. 25). Dies führt bereits zum Thema des IV. Abschnittes.

Die tiefsten und bedeutsamsten Stellen des Vortrages betreffen den II. und IV. Abschnitt; vor allem, soweit sie eine Auseinandersetzung mit dem Existentialismus beinhalten. Besonders auf S. 20 ff. finden wir Stellen, die uns mit geradezu erschreck-kender Klarheit zeigen, daß der Existentialismus unserer Zeit nichts anderes ist als die letzte Konsequenz des N o m i n a 1 i s m u s: Er sieht nur noch die „Existenz“ in concreto, die „jemeinige“ Existenz und Situation, aber die Essenz, das Universale, erkennt er nicht an. Hieraus resultiert eine „jemeinige“ Situationsethik des „Hic et nunc“, die von der Anerkennung eines universalen, absoluten, allgemeingültigen Sittengesetzes weit wegführt.

Im Abschnitt IV wird noch weiter ausgeführt: Die Existentialisten reden zwar vom Transzendenten, auf das der Mensch angelegt sei; ihr Begriff des Transzendenten ist aber zu blaß und unwirklich. Wir möchten hinzufügen: Es fehlt dem Existentialismus an der Erkenntnis, daß der Ordo e s s e n d i die Ordnung des wahren und wesenhaften Seins ist gegenüber der „Existentia“, dem bloßen Dasein. Nur von Gott gilt die Aussage, daß bei Ihm Existenz und Essenz eines sind. Der Existentialismus sagt daher vom Menschen aus, was nur von Gott gültig gesagt werden kann. Hieraus resultiert die Unfähigkeit zur Erkenntnis, daß die übernatürliche Ordnung gegenüber der natürlichen Ordnung die Seinsordnung der höheren Seinswirklichkeit ist, in der Gott als „Ens realissimum“ höchste und absolute Seinsfülle nicht „hat“, sondern ist.

Aus dem Mangel dieser Erkenntnis stammt die unbestimmte und farblose Einstellung des Existentialismus zur Transzendenz, wie etwa im Bemühen, „der Existenzanalyse das Zimmer der Immanenz einzurichten und nur die Tür zur Transzendenz nicht :u verstellen“ (S. 25).

Für eine universalistische Psychologie und Psychotherapie, wie sie sich aus der Begründung auf dem soliden Fundament der Philosophia perennis ergäbe, ist das nicht genug. Die Vertreter der universalistischen Richtung waren die ersten, die den Vorstoß zum Metaphysischen bei Jung und bei F r a n k 1 anerkennend begrüßt haben; sie waren allerdings auch als erste genötigt, festzustellen, wo und warum dieser Vorstoß bisher unzulänglich und unbefriedigend geblieben ist.

Diesen Unzulänglichkeiten der genannten Richtung müssen wir freilich mit Jachym zugute halten, daß in der gegenwärtigen Psychologie noch alles im Fluß ist. Es kann ja auch nicht anders sein, wenn man erwägt, daß diese Wissenschaften sich innerhalb weniger Jahrzehnte vom krassesten Materialismus bis an das Tor der Transzendenz entwickelt haben. Wenn wir hier dieser Richtung gegenüber Kritik üben müssen, so geschieht dies nur in der wohlgemeinten Absicht, daß sie recht bald den vollen Zugang zum „Tor der Transzendenz“ finden mögen; daß dieses Tor sich den redlich Suchenden weit auftun möge zum vollen Lichte universalistischer Wahrheitserkenntnis. Hier wird dann der Begriff „universalistisch“ sich wesensgemäß als gleichbedeutend erweisen mit allumfassend, d. h. mit „katholisch“ in des Wortes tiefstem Sinne.

Zu diesem hohen Ziel den Weg gewiesen zu haben, ist zweifellos der letzte leitende Gedanke der bedeutsamen Ausführungen des hohen bischöflichen Autors.

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