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Skepsis gegenüber der Opposition
Pflimlin legte kürzlich in Buchform ein leidenschaftliches Bekenntnis zur europäischen Einheit ab. Die Kritiker namhen an, daß Pflimlin entschieden gegen gewisse nationalistische Tendenzen de Gaulles auf- treten werde. Die demokratische Mitte glaubte sich dadurch eine wertvolle Unterstützung im Wahlkampf zu sichern. War nicht Pflimlin am 14. Mai 1962 als Staatsminister der Regierung Pompidou zurückgetreten, da de Gaulle am Vorabend in einer Pressekonferenz die europäische Integration scharf ablehnte?
Pierre Pflimlin hatte von Anfang an die Bestrebungen seines früheren engen Mitarbeiters Lecanuet mit sicht licher Sorge verfolgt. Die Auflösung des MRP, wie sie Lecanuet predigte, fand bei Pflimlin geringe Gegenliebe. Verschiedene Temperamente und Unterschiede im Konzept trugen dazu bei, daß Lecanuet eine sehr bedingte Unterstützung des Bürgermeisters erhielt. Pflimlin verkörpert zutiefst die alten christlich-sozialen Tugenden, gebunden im Geiste einer echten christlichen Demokratie. Lecanuet dagegen, als junger Polit- manager, lehnt starke ideologische Bindungen ab und sieht in einer Partei nur ein Instrument, um machtpolitische Positionen zu erkämpfen. Pflimlin vermied es, auf dem Gründungskongreß von Leca- nuets Sammelbewegung in Lyon zud erscheinen, er förderte vielmehr das weitere Funktionieren des MRP- Parteiapparates im Elsaß.
Die elsässischen Bezirke waren und sind bis heute Stützpunkte des MRP, aber bekennen sich zum Geiste des Gaullismus. Das Prestige des Generals ist in Straßburg, Colmar und den kleinen Provinzstädten und Dörfern besonders lebendig, wo die nationalsozialistische Besatzung tiefe Spuren hinterlassen hat. Es sei daher erlaubt, im Elsaß von einem christlich-demokratischen Gaullismus zu sprechen, während im übrigen Frankreich die Volksrepublikaner im scharfen Gegensatz zur Politik des Staatschefs stehen. Im Raume des Elsaß mußten das MRP und Pflimlin sehr behutsam Vorgehen, um die treuen Anhänger nicht endgültig in die Arme der UNR zu treiben. Die Position Pflimlin in seinem Wahlkreis wurde daher als besonders delikat angesehen.
Der Bürgermeister von Straßburg war über die außenpolitische Ausrichtung der gaullistischen Politik sehr unglücklich. Die europäische Integration wurde gebremst, die großartigen Ansätze der deutsch- französischen Freundschaft in Frage gestellt, aber die systematische Opposition droht, eine neuerliche Krise des Staates zu erzeugen. Am 13. August 1966 erklärte Pflimlin plötzlich, ohne vorher seine Partei oder die engeren politischen Freunde zu konsultieren, er verzichte auf eine Kandidatur für einen Sitz im Parlament und werde jeder Aktivität im Wahlkampf ausweichen. So gesteht er, daß er nach Wochen ernsthafter Gewissenserforschung zu der Ansicht gekommen sei, daß ein Sieg der gespaltenen und programmlosen Opposition die alten Zustände der Instabilität wieder herbeiführen würde. Aber er sei ebenfalls entschlossen, seine Divergenzen zur Regierung in atlantischer und europäischer Hinsicht in Rechnung zu stellen. Er könne daher weder die Vorstellungen der Regierung, noch der Opposition anerkennen. In der Tat wurde durch die Geste Pflimlins eine Überprüfung ier Standpunkte unerläßlich.
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