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Bei Parteien blieb kein Stein auf dem anderen

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Premier Ciampi hat am Montag in Wien abgewunken: er wird nach dem 27. März nicht mehr als Regierungschef zur Verfügung stehen. Wohin geht Italien?

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Premier Ciampi hat am Montag in Wien abgewunken: er wird nach dem 27. März nicht mehr als Regierungschef zur Verfügung stehen. Wohin geht Italien?

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Mit dem abrupten Ende der Gesetzgebungsperiode, die elfte war es, scheint jetzt die erste Republik endgültig ihre Seele ausgehaucht zu haben. Tatsächlich hat das rücksichtslose, verderbliche Käuflichkeitstreiben der bisherigen Mittelinks-Koalition, vor allem der Christlichdemokraten und Sozialisten, Kammer und Senat (vom 5. April 1992) ihrer Legitimität beraubt (delegittimato). Etwa ein Drittel der gegenwärtigen Noch- Parlamentarier ist direkt oder indirekt in irgend einen Korruptionsskandal verwickelt.

Infolge der Wahlrechtsreform vom Sommer wird die kommende Volksrepräsentation sowieso zu drei Vierteln nach dem neuen Mehrheitswahlrecht gewählt (ein Viertel noch mit dem alten Proportionalsystem, damit auch die kleinen Parteien künftig eine Chance haben). Das bedeutet zweifellos einen Schritt näher dem Ziele der zweiten Republik, wiewohl ihr Profil noch nicht einmal sichtbar oder wenigstens erkennbar ist. Jedenfalls heizt der bevorstehende Wahlkampf die politische Wetterlage in Italien bereits mächtig an. Zugleich sind hektische Bemühungen im Gang, der alten verschandelten Parteienlandschaft durch Umschichtungen, Querallianzen, ja sogar durch Abspaltungen ein für die Wähler wieder attraktiveres Bild zu verleihen.

Die traditionelle Mitte, die in Staat und Institutionen nahezu ein halbes Jahrhundert lang dominiert hat, ist infolge der katastrophalen Niederlagen bei den Kommunalwahlen vom Herbst 1993 so gut wie zusammengebrochen. Auf ihrer rechten Seite erstarkten dagegen die den Föderalismus anstrebende Lega Nord sowie die „law and order“ predigende neofaschistische Partei MSI - auf der entgegengesetzten Seite etablierte sich eine zwar heterogene, doch entschlossen die* Macht anpeilende progressive Allianz, deren unbeschränkte Leitung die Linksdemokratische Partei PDS, die frühere KPI, übernommen hat.

MAHNRUF DES PAPSTES

Den tiefsten Einschnitt erlitt die De- mocrazia Cristiana (DC) - die einsti- e, freilich für immer und ewig sich ünkende Haupt-, Mehrheits- und Regierungspartei Italiens. Weil DC- Chef Martinazzoli eine Wahlkoalition mit der Lega und der frisch auf der politischen Bühne erschienenen rechts-gemäßigten Bewegung „For- za Italia“ des Medienzars Berlusconi scharf ablehnte, gab es Krach in der einst mächtigen Democrazia Cristiana, die sich seit dem 18. Jänner Par- tito Popolare, also Volkspartei nennt.

Trotzdem trennte sich von ihr eine organisierte Gruppe sogenannter „Neozentristen“. Sie gründeten schließlich die Konkurrenzkraft Christlichdemokratisches Zentrum (CDC). Martinazzoli, der überdies unter dem Druck des Linksflügels der Partei steht, bespöttelte die „Abtrünnigen“ und behauptete, daß die neue Volkspartei weder nach rechts noch nach links geht. Aber es pfeifen doch die Spatzen von allen Dächern, daß der Trend deutlich zur PDS weist! Ohnedies ist die politische Einheit der italienischen Katholiken trotz eines jüngsten, allerdings strittigen Mahnrufs Papst Johannes Pauls II. zerbrochen.

Nicht besser ergeht es den Sozialisten, die ebenso gespalten und zerstritten sind: Der Hauptteil liebäugelt mit den Progressisten, die Überreste suchen Anschluß im gegenüberliegenden Feld. Dort bemühen sich in rasendem Tempo: Berlusconi mit seiner patriotischen Bewegung, der Lega-Chef Bossi sowie Segni, Initiator der erfolgreichen Volksabstimmung vom April letzten Jahres über das Mehrheitswahlrecht, um die Herstellung eines gemäßigten Bündnisses als Alternative zur Linksfront. Auch die „Neozentristen“ scheinen bereit, sich mit dem Medienzar zu liieren.

Wenngleich das „fortschrittliche Kartell“ der Linken keineswegs so geschlossen sein dürfte, wie es den Anschein hat, so ist der Zwist Mar- tinazzolis mit den Konservativen, zu denen sich mittlerweile auch die neugebildete Nationale Allianz unter Federführung der Neofaschisten MSI zählt, ein großes Handikap auf dem Wege zur Einigung. Auf der Suche nach dem „Neuen“ gärt und brodelt es also allenthalben im Stiefelland südlich der Alpen.

Namhafte Politologen warnen vor der Gefahr der Unregierbarkeit und meinen schon, daß auch die nächste Legislaturperiode eine Übergangsphase sein wird.

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