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Das Rätsel um den Neofaschismus in Italien

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Rom, 27. Juli

Italiens Innenminister Mario Scelba ist zu einem Urlaub nach der Schweiz abgeflogen, seinem Amtskollegen ad interim S p a t a r o die Last der Geschäfte und den oft zitierten .politischen Kreisen Roms“ die Möglichkeit zurücklassend, die gewagtesten Mutmaßungen anzustellen.

Scelba wird mit Recht als Exponent des linken Flügels der Democrazia Cristiana und unnachgiebiger Widersacher des Alt- und Neufaschismus betrachtet. Das vor kurzem angenommene Gesetz zum Schutze der Demokratie gegen neue faschistische Anschläge trägt seinen Namen. Aber die politische Richtung einer Regierung wird niemals von der Haltung eines einzelnen Ministers bestimmt, und so gibt es genug Stimmen, welche eine Auseinandersetzung der Democrazia Cristiana mit dem als neufaschistisch betrachteten Movimento Sociale Italiano (MSI) und mit der gleichfalls erstarkten Partei der Monarchisten Voraussagen. Diese Auseinandersetzung wird noch vor den Parlamentswahlen im kommenden Frühling notwendig sein. Alles deutet aber darauf hin, daß die Democrazia Cristiana entschlossen ist, eher einen Zweifrontenkampf gegen rechts und links zu führen, als sich mit einer Partei zu verbünden, die nicht unzweideutig auf dem Boden der Demokratie steht; etwa wie das MSI. Selbst die Verbindung der Cri- stianademokrateh De Gasperis mit den Monarchisten erscheint schwierig, obwohl hier ideologische Differenzen nicht vorhanden sind. Die DC selbst hat sich in der konstitutionellen Frage eher zugänglich gezeigt, aber ihre wahlverbündeten Republikaner und Sozialdemokraten halten mit unveränderter Starrheit am republikanischen Prinzip fest. Es wäre für De Gasperi ein schlechtes Geschäft, die Freundschaft des MSI und der Monarchisten des Reeders Lauro mit dem Verlust der Sozialdemokraten, Republikaner und Liberalen erkaufen zu wollen.

Die hohe Einschätzung der Wahlerfolge des MSI im Süden hat bei den Anhängern des MSI nicht lange angehalten. Abgesehen davon, daß ein großer Teil der Mandatsgewinne der „Wahlverwandtschaft“ mit den Monarchisten zu danken war, die keineswegs den Anschein hat, zu einem dauernden Bündnis zu werden, so konnte man schließlich das politische Milieu von Neapel, Bari und Palermo doch nicht mit dem Italiens verwechseln. Im ganzen Staatsgebiet aber haben die Monarchistischen nur fünf, das Movimento Sociale sieben Prozent der Wählerschaft hinter sich, also weniger als die vielbelächelten Sozialdemokraten. Die „neue Rechte“ dürfte gegenwärtig nicht mehr als 12 bis 15 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung für sich haben. Nicht diese Ziffern erfüllen die Democrazia Cristiana mit Sorge, sondern die stetige Aufwärtsentwicklung faschistischer und ihnen verbündeter Kräfte, die bei den nächsten Parlamentswahlen vielleicht 20 Prozent erreichen kann. Freilich hat die Propaganda des Movimento Sociale und der Monarchisten im Norden ein schwierigeres Feld zu bearbeiten! Mailand, mit seinen 1,4 Millionen Einwohnern, hatte bei den Gemeindewahlen im Jahre 1951 nur 50.000 Stimmen dem MSI gegeben.

Im Zeichen der schwarzen Wimpel

Gegen Ende Juli findet in Aquila der von Scelba zweimal verbotene Partei- k o ngreßdes MSI statt, ein mit Spannung erwartetes innenpolitisches Ereignis, weil man hofft, endlich Klarheit darüber zu bekommen, wes Geistes Kind diese „Sozialbewegung“ eigentlich ist. Wollte man den offiziellen Äußerungen ijirer Führer im Parlament und bei Pressekonferenzen Glauben schenken, so unterscheidet sich das MSI von den übrigen demokratischen Parteien nur durch ein noch nicht genau definiertes, jedenfalls sehr radikales Sozialprogramm, durch eine stärkere Betonung des nationalen Selbstbewußtseins und sein Eintreten für eine größere Autonomie Italiens im Konzert der Völker. Aber je mehr die Äußerungen in den Randzonen erfolgen, um so schwächer wird das Bekenntnis zur Demokratie und der Protest gegen den Vorwurf neufaschistischer Einstellung, um so stärker die Kritik an der Atlantikpolitik der Regierung, um so unverblümter die Apologie des vergangenen Regimes und die\ Entfaltung seiner Kennzeichen bei Kundgebungen auf den Plätzen, mit dem rituellen römischen Gruß, schwarzen Wimpeln und Kampfhymnen.

Die noch lebenden Mitglieder des einstigen Faschistischen Großrates wie Luigi Federzoni, Dino Grandį, Giacomo Acerbo, Giuseppe Bottai, Alberto De Stefani, Giuseppe Bastianini, Alfredo De Marsico, Elmondo Rossoni und andere faschistische Größen wie Marschall Ro- dolfo Graziani oder Ezio Maria Gray zeigen nicht die Absicht, sich in die Reihen des MSI oder gar an dessen Spitze zu stellen. Sie blicken auf die Führer des Neufaschismus herab wie auf die armen Verwandten, auf die „zuletzt Angekommenen“, mit denen sie nichts zu tun haben wollen, deren Antipathie sie herzlich erwidern. Nur Graziani, der zwar die Ehrenmitgliedskarte des MSI zurückgewiesen hat, tritt als Führer der Frontkämpferorganisation der Republik von Salö politisch hervor, aber auch er hält nicht viel vom MSI, seine Abneigung gegen den Fürsten Borghese ist notorisch, sie hat ihren Grund in dem bisher unwidersprochen gebliebenen Vorwurf, Borghese habe kurz vor dem Zusammenbruch der Republik von Salö nach dem Gardaseee marschieren und Mussolini festnehmen wollen.

Die Topographie des italienischen Parlaments eignet sich wenig zu einer Unterscheidung zwischen rechts und links, wenn man die Rechte im Sinne für konservativ oder gar reaktionär betrachten wollte. Tatsächlich gibt es in Italien keine politische Gruppe von Belang, die eine solche Bezeichnung hinnehmen würde; das MSI selbst bezeichnet sich nicht ungern als eine Linkspartei. Die ideologische Basis des MSI sind die Ideen der Re- pubblica Sociale Mussolinis, wie sie der Duce am Beginn seiner politischen Laufbahn vertrat. Das MSI wurde republikanisch, antikapitalistisch und antiklerikal geboren, sein Sozialprogramm fußt auf den Sozialisierungsbestrebungen, wie sie in dem berühmten „Manifest von Verona ausgesprochen wurden, das heute als die Magna Charta der Republik von Salö betrachtet wird. Im MSI sammelten sich zunächst vor allem jene jungen Menschen, die fanatisch und opferfreudig bis zum letzten gegen die Alliierten gekämpft hatten und deren ganzes ideologisches Gepäck der Haß gegen die traditionelle Hegemonie des Bürgertums und gegen die feudale Anarchie im Süden war. Ihr politisches Bekenntnis blieb die letzte Rede Mussolinis im Teatro Lirico in Mailand, worin dieser die Monarchie, die Plutokratie und den Klerikalismus für die Waffenstreckung und alles daraus folgende Unheil verantwortlich machte.

Mit einer solchen politischen Grundlage konnte das MSI allerdings wenig weit kommen. Es bedurfte nicht langer Zeit zu dieser Erkenntnis; die Zügel wurden deshalb von Männern in die Hand genommen, die zu einer realistischeren Einstellung fähig waren. Der Wahlstimmen bringende Süden wollte nichts von der Republik wissen, also schloß man ein Bündnis mit den Monarchisten. Die Ranküne gegen die Alliierten versteckte man im Dachgeschoß und entschloß sich zu vorsichtig dosierten Bekenntnissen zur Atlantikpolitik. Den Großindustriellen faschistischer Gesinnung drängte man eine nicht immer willkommene Beschützerrolle auf, um die finanzielle Basis der Partei zu sichern. Den feudalen Agrariern des Südens zuliebe verleugnete man den Punkt XIII des Manifestes von Verona, der die Enteignung nicht oder schlecht kultivierten Bodens vorsah, und behauptete, daß die Agrarreform von seiten der Grundherren (also niemals) ausgehen müsse. So hatte die von den Christlichdemokraten mit soviel Ernst, Eifer und Mitteln vorangetriebene Agrarreform in der Sila das paradoxe politische Ergebnis, daß dort die begünstigten Landarbeiter ihre Stimmen dem neufaschistelnden MSI gaben, der die Interessen der Grundherren vertrat. Das Bekenntnis zum Katholizismus wurde ostentativ abgelegt, aber in der Vatikanstadt mit Kühle aufgenommen.

Vor notwendigen Klärungen

Im MSI des Nordens, wo man nicht geneigt war, eine solche Entwicklung mitzumachen, kam es zu sezessionistischen Erscheinungen, die mit Mühe in Schranken gehalten wurden. Aber um den Mailänder „Meridiano d’Italia“ herum bildete sich eine von einem erklärten Anglopho-, ben, dem Publizisten Concetto Pettinato, geführte Gruppe, die an der Parteileitung unablässig Kritik übt und ihr selbst Verrat an den ursprünglichen Idealen der „Sozialbewegung“ vorwirft. Der bevorstehende Parteikongreß wird erweisen, wie weit der Spalt überbrückt werden kann und welche Tendenz die Oberhand behält. Der Parteisekretär De Marsanich und seine parlamentarischen Kollegen Almirante und Mieville, Vertreter der gemäßigten realistischen Richtung, werden schweren Stand haben. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der einstige Kommandant der X. Mas-Flotille, der Fürst Valerio Borghese, derzeit Ehrenpräsident des MSI, künftig eine Führerrolle in Anspruch nimmt. Auch Borghese bekennt sich zur gemäßigten Richtung, vielleicht dank seiner politischen Vergangenheit und als Träger höchster Tapferkeitsauszeichnungen ein geeigneter Vermittler.

Aus all diesem erklärt sich, warum die Züge des Movimento Sociale noch äußerst unbestimmt sind, warum auf der einen Seite Bereitschaft besteht, gute Beziehungen mit der Democrazia Cristiana anzuknüpfen-und auf der anderen Seite erbitterter Haß gegen die Partei De Gasperis und ein gewisses Wohlwollen den linksextremen Gruppen gegenüber. Die Democrazia Cristiana wieder weiß mit einem so unsicheren Gesprächspartner nichts anzufangen und muß abwarten, ob sich im MSI noch Wandlungen einstellen, die seine Annäherung an die Mehrheitspartei ermöglichen. Da sie aber auch die gegenteilige Entwicklung im Auge behalten muß, hat sie inzwischen mit der „Lex Scelba“ allen antidemokratischen und autoritären Bestrebungen von seiten des Neufaschismus einen Riegel vor-. geschoben.

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