6855321-1977_13_07.jpg
Digital In Arbeit

Berlinguers Dritte Rote Metropole: Rom

Werbung
Werbung
Werbung

Das Schöne und Festliche einer Italien-Berichterstattung besteht darin, daß das meiste nicht greifbar ist und das, was greifbar ist, zu irrigen Annahmen und Schlußfolgerungen verleitet. Das Bild des Eisberges drängt sich auf: sichtbar ist nur ein Sechstel dessen, was unter der Oberfläche verborgen ist, das aber den ganzen gefrorenen Riesen trägt.

Schön ist die Italien-Berichterstattung, weü sie den Korrespondenten dazu anhält, nach dem Wesentlichen Ausschäu zu halten, nach dem, was die

Dinge zusammenhält. Festlich ist sie, weil eine solche „Erforschung der Urgründe“ die Möglichkeiten der Massenmedien übersteigt oder, was schlimmer ist, die „Konsumenten“, die Leser, Zuschauer, Zuhörer gar nicht interessiert (um nicht zu sagen: irritiert). Oft behält nämlich der Berichterstatter erst nach Jahren recht. Nehmen wir den Fall der italienischen Faschisten: 1972 war man sich so gut wie einig darüber, daß Almirante kein Mussolini und schon gar kein Hitler sei und daß das, was er will, nichts mit faschistischer oder nationalsozialistischer Gewaltherrschaft zu tun hat. Erst jetzt weiß man, wie er sein „MSI“ (Movimento Sociale Italiano) mit Terrorismus von rechts und mit den Staatsstreichversuchen von 1964,1970 und 1974 ins Scheinwerferlicht brachte. Die Verselbständigung des demokratischen Flügels des MSI unter dem Banner der „Nationaldemokratie“ hat dies im Februar dieses Jahres deutlich gemacht. Almirante bezichtigte die’ Führer der neuen Rechtspartei der Verbindung zum „Schwarzen Terror“. Die gleichen Leute hatte er durch dick und dünn verteidigt, solange sie zu seiner Partei gehörten.

Was ist nun von der Abspaltung der linkskommunistischen Partei, von den Attentaten in Bologna, Rom und

Turin zu halten? Generalsekretär Lucio Margi ist der erste, der alle Aufständischen, die mit ihren organisierten Gewaltakten Panik unter der Bevölkerung entfachten und die Regierung Andreotti - wie in Kriegszeiten - zu einem Demonstrationsverbot nötigten, als „Rote Faschisten“ bezeichnet hat, die letztlich doch nur Almirante begünstigten.

Niemand will mit den Rebellen etwas zu tun haben, doch wenn sie Erfolg haben sollten, wird etwas mehr vom bisher verborgenen Teil des Eis-

berges an die Oberfläche gelangen. Nutznießer eines solchen Wechsels dürften nicht nur die Linkskommunisten, sondern auch die KPI und Linkssozialisten, mit einem Wort: alle außer den Christdemokraten sein.

Derzeit befaßt sich eine parlamentarische Untersuchungskommission mit der Frage, wie es zu erklären ist, daß am 11. März, bei der Kommentierung der blutigen Zusammenstöße von Bologna, als einziges das Kommunique der linkskommunistischen „Lotta Continua“ verbreitet wurde. Verwechselte da ein Salonkommunist der staatlichen Radiotelevisione die Morgenröte eines Machtwechsels mit seiner Verwirklichung?

Nirgends auf der Welt ist alles Gold, was glänzt. Mit 1400 Jahren Fremdherrschaft im Rücken, dürften die schönen Erklärungen der Italiener noch unzuverlässiger sein als sie es anderswo wären. Vielleicht gehört der Graben zwischen Theorie und Praxis, Gesetz und Leben überhaupt zum Mittelmeerraum, sogar zum alten Rom, das mit Ansprüchen auf Weltgeltung- Mussolinis mare nostro und Berlinguers „Dritte Rote Kapitale als Wegbereiterin eines demokratischen, freien, menschlichen Kommunismus“ - auch im 20. Jahrhundert weiterlebt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung