"... dein Name ist Uneinigkeit"

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Ex-EU-Kommissar Franz Fischler hält ein vom US-amerikanischen Weg unterscheidbares europäisches Modell für unverzichtbar und plädiert für die Ausarbeitung eines konkreten Angebots im Sinne einer "privilegierten Partnerschaft" für die Türkei und andere Länder.

Die Furche: Haben Sie die Salzburger "La Traviata" gesehen?

Franz Fischler: Nein, weder live noch im Fernsehen. Aber die "Zauberflöte" habe ich gesehen.

Die Furche: Hat das, was in Salzburg alljährlich stattfindet, mit "Europas Macht" zu tun; ist das ein Teil dessen, was Europas Stärke ausmacht?

Fischler: Europa ist nach wie vor eine kulturelle Großmacht; und Salzburg ist einer jener Orte, wo das besonders spürbar wird. Wobei ein entscheidender Aspekt von Europa seine kulturelle Vielfalt ist. Wer diese Vielfalt zerstört, der zerstört Europa.

Die Furche: Martin KusÇej, Schauspielchef in Salzburg, hat sein diesjähriges Programm unter das Motto gestellt: "Wir, die Barbaren. Nachrichten aus der Zivilisation". Was heißt das - vor dem Hintergrund des globalen Terrorismus? Zeigt sich hier nicht momentan am deutlichsten die Ohnmacht Europas?

Fischler: Ich würde uns nicht für ohnmächtig erklären wollen. Aber ein Rezept haben wir auch nicht. Totalüberwachung, Leibesvisitationen auf jedem Bahnhof etc. streben wir ja nicht an. Es bleibt also immer ein gewisses Restrisiko, mit dem wir zu leben lernen müssen. Im übrigen - weil das oft thematisiert wird - glaube ich auch nicht, dass in einer gerechteren Welt, um die wir uns natürlich bemühen müssen, der Fanatismus verschwinden würde.

Die Furche: Liegt nicht das spezifisch europäische Dilemma im Hinblick auf den Terror darin, dass wir Gefahr laufen, sukzessive das auszuhöhlen, was wir eigentlich verteidigen wollen - die Werte einer offenen, liberalen Gesellschaft?

Fischler: Ich glaube, im Prinzip gilt, was Bundespräsident Fischer gesagt hat: Wir dürfen uns unsere Werte nicht wegbomben lassen. Etwas anderes bleibt uns gar nicht übrig. Auf der anderen Seite müssen wir sehen, dass der Kampf um die Verhinderung von Anschlägen ein dauernder sein wird.

Die Furche: Aber eine akute Bedrohtheit unserer zivilisatorischen Errungenschaften, wie das bei KusÇej anklingt, sehen Sie nicht?

Fischler: Nein.

Die Furche: Mathias Döpfner, Springer-Chef, hat kürzlich in einem Kommentar polemisiert: "Europa, Dein Name ist Feigheit". Er hat dabei einen Bogen von der AppeasementPolitik gegenüber Hitler über den Umgang mit den kommunistischen Diktaturen, die Kriege im ehemaligen Jugoslawien, die tendenziell palästinenserfreundliche Haltung im Nahost-Konflikt bis zur Ablehnung des Irak-Krieges gespannt.

Fischler: Ich kann das nicht nachvollziehen. Wenn wir gleich beim Irak-Krieg bleiben: Meint er die Briten oder die Deutschen? Damit will ich sagen: Das wahre Problem Europas ist nicht seine Feigheit, sondern seine Uneinigkeit. Vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik sind wir ja meilenweit von einer Gemeinsamkeit entfernt. Auf der nationalen Ebene sehen wir große Opportunisten bis hin zu Trittbrettfahrern - letzteres wurde ja auch immer wieder von Österreich gesagt: Die Neutralität wurde als Ausrede benutzt, sich nicht international zu engagieren. Durch den eu-Beitritt ist hier ein Umdenken in Gang gesetzt worden, sodass wir heute einsehen, dass auch uns ein Beitrag zur internationalen Sicherheit abverlangt ist.

Die Furche: Europa ist also nicht feig...

Fischler: Ich würde eine Gegenfrage stellen: Die Amerikaner und die Briten sind zwar nicht feig - aber sind sie im Irak erfolgreich? Das steht im Raum. Ich glaube, dass es schon angebracht ist, sich zu überlegen, welche Aktion richtig ist, bevor man sich auf solche Unternehmen einlässt. Die ursprünglich genannten Kriegsgründe haben sich ja als Propaganda entpuppt.

Die Furche: Ein Zitat noch von Döpfner: Er schreibt, wir machten es uns "in unseren multikulturellen Ecken gemütlich", anstatt die liberalen Werte der westlichen Welt zu verteidigen...

Fischler: Da geht es wohl mehr um geistige Haltungen - da würde ich Döpfner schon eher zustimmen: Es gibt sicher so etwas wie eine Saturiertheit in vielen Bereichen.

Die Furche: Ein anderes Bewährungsfeld für Europas Macht oder Ohnmacht ist die Wirtschaft. Es gibt die ehrgeizigen Lissabon-Ziele, bis 2010 der dynamischste Wirtschaftsraum der Welt zu werden - also wirtschaftlich die usa zu überholen. Nach Einschätzung aller Beobachter ist das längst obsolet.

Fischler: Es ist nicht nur so, dass der Zeitplan für die Lissabon-Ziele nicht zu halten ist, sondern ich halte das Ganze an sich für nicht machbar. Denn da heißt es, wir wollen die wettbewerbsstärkste Ökonomie der Welt werden, gleichzeitig aber wollen wir an unserem Sozialmodell festhalten, und gleichzeitig wollen wir Weltmeister bei den Umweltstandards bleiben - das hört sich für mich wie der Brief ans Christkind an. Man wird sich also erst einmal über die eigene Zielsetzung klar werden müssen: Wie wollen wir unseren Wohlstand definieren? Hier sollten wir uns schon von den Amerikanern unterscheiden: Nur das Bruttosozialprodukt pro Kopf zu steigern kann nicht das Ziel sein. Mir ist ein etwas niedrigeres Bruttosozialprodukt lieber, wenn dafür sozialer Friede sicher gestellt werden kann und wir uns nicht so verhalten, als wären wir die letzte Generation auf diesem Globus. Aber entscheidend ist die Einsicht: Man kann nicht alles gleichzeitig wollen. Wir können sagen, wir entwickeln unsere Wirtschaft langsamer, aber das geht auf Kosten unseres Wohlstandes.

Die Furche: Haben wir die Wahl zwischen mehr Wohlstand und mehr ökosozialer Ausrichtung? Oder ist das eine virtuelle Diskussion, weil letztlich ohnedies kein Weg an mehr Deregulierung und Flexibilisierung vorbeiführt?

Fischler: Es gibt Volkswirtschaften in Europa wie die britische, wo ich sagen würde, der Turbo ist zu stark eingeschaltet - während etwa Deutschland eine Beschleunigung gut vertragen würde. Die Ausgangslage ist hier innerhalb Europas einfach sehr unterschiedlich. Österreich gehört zu den Besten in Europa; aber wir sollten auch überlegen, wie man die private Konsumquote heben kann - auf Kosten einer überdimensionierten Sparquote.

Die Furche: Also ein europäisches Sozial- und Wirtschaftsmodell kann und soll es auch künftig geben?

Fischler: Das halte ich absolut für notwendig, wenn Europa es selbst bleiben soll. Wir können nicht europäisch bleiben mit amerikanischen Methoden. Das hieße Dominanz des Wettbewerbs über alles und Uniformierung in vielen Bereichen.

Die Furche: Was halten Sie von dem Vorschlag, Europas klügste Köpfe sollten sich zusammensetzen und die eu-Verfassung überarbeiten, um sie mehrheitsfähig zu machen, wie das etwa Vizekanzler Gorbach gefordert hat?

Fischler: Davon halte ich gar nichts. Die Verfassung ist erstens nicht so schlecht; zweitens ist das Problem nicht der Text der Verfassung, sondern es sind die Unzufriedenheiten der Menschen mit bestimmten Entwicklungen in der eu. Die eigentlichen Fragen für die Menschen sind: Was ist der richtige wirtschaftliche Weg Europas, wie können wir Wachstum und Arbeitsplätze schaffen? Dazu kommt noch etwas: Wir haben keine europäische Öffentlichkeit. Aber auch das hat mit der Verfassung nichts zu tun.

Die Furche: Was wäre hier zu tun?

Fischler: Ich bin fest davon überzeugt, dass wir europäische Parteien brauchen. Es gibt derzeit keine Träger einer europäischen Demokratie und daher auch keinen europäischen Dialog. Es gibt nur nationale Dialoge, wie es auch nur eine französische, eine deutsche, eine österreichische Europa-Politik gibt, aber keine europäische. Solange wir diesen Mangel nicht beseitigen, werden wir immer Stellvertreterkriege führen. Wenn freilich das Ziel nur eine Art Freihandelszone ist, wie das etwa viele der politischen Köpfe Großbritanniens wollen, schaut die Sache anders aus. Aber dann müssen wir aufhören davon zu reden, dass Europa außenpolitisch irgendeine Rolle spielen könnte.

Die Furche: Hat man mit der Verfassung nicht das Pferd verkehrt herum aufgezäumt? Hätte eine Verfassung nicht vorausgesetzt, was man sich davon erhofft haben mochte: eine schon weiter fortgeschrittene, vertiefte Integration?

Fischler: An diesem Argument ist sehr viel dran. Eine ganz zentrale Überlegung, die bei der Konstituierung des eu-Verfassungskonvents Pate gestanden ist, ist jedenfalls nicht aufgegangen: Man wollte in den Konvent Vertreter der nationalen Parlamente mit einbeziehen, damit auf diese Weise ein breiter Diskurs in den einzelnen Ländern entstünde. Dass das nicht funktioniert hat, zeigt, dass es eben ohne europäische Öffentlichkeit nicht geht.

Die Furche: Ein Thema, das die Menschen sicher sehr beschäftigt, ist die Frage einer Türkei-Mitgliedschaft in der eu.

Fischler: Zunächst möchte ich davor warnen, Europas Grenzen einfach geografisch zu bestimmen. Das Gemeinsame an Europa war immer stärker historisch-kulturell determiniert. In dieser Perspektive ist die Türkei bis jetzt weder nur europäisch, noch nur nicht-europäisch. Die eu fordert nun als Bedingung für eine Mitgliedschaft eine Europäisierung des Landes. Ich frage mich nur, ob das so ideal ist - für die Türkei, aber auch weltpolitisch, da der Türkei ja eine Art Brückenfunktion zwischen Orient und Okzident zukommt. Abgesehen davon können wir nicht die Türkei - etwa wegen ihrer nato-Mitgliedschaft - aufnehmen, zur Ukraine aber "Nein" sagen.

Die Furche: Es gibt ja die Idee einer "privilegierten Partnerschaft", die allerdings mittlerweile ziemlich in Misskredit gebracht wurde...

Fischler: Der Fehler war, dass das immer sehr vage geblieben ist. Man müsste da ein konkretes Angebot mit klaren Bedingungen formulieren, dass die in Frage kommenden Länder auch wissen, woran sie sind. Inzwischen ist das nicht einfacher geworden, man wird sich vermutlich einen anderen Begriff dafür einfallen lassen müssen. Aber in der Sache kommen wir an so einer "privilegierten Partnerschaft" nicht vorbei, weil wir einerseits in den nächsten Jahren nicht alle Länder, die beitreten wollen, auch aufnehmen können, andererseits aber diesen Ländern gegenüber trotzdem die Verpflichtung haben, ihnen Entwicklungschancen einzuräumen.

Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner.

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