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Der neue Mann: Kenneth Kaunda

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Die politische Entwicklung, die das frühere Protektorat Nordrhodesien schließlich zur Unabhängigkeit führte, ist verschlungene Wege gegangen. Bis 1962 beherrschte die „weiße“ Vereinigte Föderalistische Partei (UFP) des früheren Premierministers der Zentralafrikanischen Föderation, Sir Roy Welensky, die Politik des Landes, da das Stimmrecht an eine für die Masse der Bevölkerung hohe Qualifikation hinsichtlich Einkommen und Bildung geknüpft war. Übrigens boykottierten viele Afrikaner, der nationalistischen Parole folgend, die früheren „Föderationswahlen“. Der „Afrikanische Nationalkongreß“ (ANC) spaltete sich Ende 1958. Führer des neugebildeten „Nationalkongresses von Zambia“, der bereits im Frühjahr 1959 verboten wurde, als er den Wahlboykott durch Einschüchterung durchzusetzen versuchte, wurde der frühere presbyterianische Pastor der „Church of Scotland“, Kenneth Kaunda,

Die Wahlüberraschung

Als England Nordrhodesien 1962 eine neue Verfassung gewährte, ging die politische Macht erstmals in die Hände der Afrikaner über. Der Haupteffekt der vom damaligen Kolonialminister Iain Macleod vorbereiteten Reform war es freilich, Zeit für eine allmähliche „Entkolonisierung“ zu gewinnen. Die 45 Mitglieder des gesetzgebenden Rates sollten sich nunmehr aus mehreren „Kurien“ zusammensetzen. 15 Mitglieder waren auf einer „Oberen Liste“ (nach Art der geforderten Voraussetzungen überwiegend von weißen Wählern), 15 auf einer „Unteren Liste“ zu wählen. Ein Abgeordneter war der asiatischen Minorität Vorbehalten, während 14 nur mit einem Minimum an Stimmen beider Listen gewählt werden und so als Exponenten beider Rassen legitimiert sein sollten.

Das Ergebnis entsprach nicht ganz den Erwartungen: Die Unabhängigkeitspartei Kaundas errang mit

60 Prozent der Stimmen 14 Sitze. Der gemäßigte ANC errang mit 16 Prozent der Stimmen sieben Sitze. Die europäische UFP gewann alle 15 Sitze der „Oberen Liste“. Von den gemeinsam zu wählenden Abgeordneten blieben acht — somit mehr als die Hälfte — ungewählt, da kein Kandidat eines Lagers die geforderten zehn Prozent der abgegebenen Stimmen des anderen Lagers erreichte. Schließlich konnte Kenneth Kaunda, mehr und mehr der unbestrittene Führer der afrikanischen Majorität, seine erste, halbautonome Regierung nur durch eine Koalition mit dem ANC Harry Nkumbulas bilden, der sich in den vorangegangenen Jahren insbesondere der finanziellen Unterstützung des separatistischen Katanga erfreut hatte.

Der zweite Streich

Nach einer weiteren Verfassungsreform wurde Anfang 1964 neuerlich gewählt. Das Parlament sollte nun 75 Abgeordnete umfassen, davon 65 direkt und zehn auf besondere Weise (praktisch den Weißen und Asiaten Vorbehalten) wählbare. Das Ergebnis dieser Wahl war eine echte politische Willensbildung: Die UNIP gewann 55 der 65 Direktmandate, davon 24 ohne Gegenkandidaten, die restlichen 31 mit 69,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Der ANC behauptete sich mit zehn Mandaten und 30,4 Prozent der auf die umkämpften 41 Mandate entfallenen Stimmen, vor allem bei den Tonga der Süd- und Zentralprovinz sowie den Lunda des Nordwestens. Er errang aber auch ein Drittel der Stimmen in der Hauptstadt Lusaka (113.000 Einwohner) und stärkeren Anhang dm Osten des Landes und konnte sich so als echte Opposition qualifizieren.

Die europäische NPP (Fortschrittspartei des Nordens, die frühere UFP), die unter Führung von John Roberts ihre Kampagne als künftige Opposition mit der Parole „Erfahrung zählt!“ geführt hatte, gewann bei einer Wahlbeteiligung von 73 Prozent der Europäer alle zehn „reservierten“ Mandate, aber nur 63 Prozent der Stimmen der Spezialwählerklasse. Dagegen erhielt die afrikanische UNIP, die sich 1962 vergeblich um europäische Stimmen bemüht hatte, 35,2 Prozent dieser und hätte nur 400 Stimmen mehr bedurft, um vier der zehn Sondermandate dazuzuerobem. Selbst wenn man annimmt, daß darunter alle Stimmen der Asiaten und Halbblü- tigen waren, hat sich der Anhang Kaundas unter den Europäern seit 1962 verzehnfacht! Vielleicht ist es tatsächlich nur dem Eindruck der Revolution auf Sansibar und den Armeemeutereien in Ostafrika zuzuschreiben, daß Kaunda diese vierhundert Stimmen nicht erhielt.

Ohne auf ein schwarzes „Einparteienregime“ gestützt zu sein, hat der Ministerpräsident des unabhängigen Zambia damit einen großen moralischen Triumph errungen. Das Ziel eines „nichtrassischen“ afrikanischen Staates, den zu verwirklichen die frühere Föderationsregierung trotz ihrem Prinzip einer „Partnerschaft“ verabsäumt hat, ist nun in der Hand dieses 40jährigen Politikers, der Vater von zehn Kindern ist, nicht raucht, nicht trinkt und nahezu vegetarisch lebt. Kaunda, eine der sympatischesten Führergestalten des neuen Afrika, hat vielleicht Aussichten, dieses Ziel zu verwirklichen. Jedenfalls wird er die Spezialvertretung der Weißen im Parlament beibehalten, so daß zehn Vertreter seiner früheren weißen Gegner bis 1969 in einem afrikani-

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