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Die Empfehlung

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Was von den meisten Beobachtern österreichischen innenpolitischen Geschehens erwartet wurde, ist eingetroffen: Die KPÖ hait ihren Wählern empfohlen, am 6. März in 24 der 25 Wahlkreise die SPÖ zu wählen. Diese Wahlempfehlung mag wohl auf den ersten Blick wie eine Bankrotterklärung der österreichischen Kommunisten aussehen, ist jedoch in Wahrheit die einzige Möglichkeit für Österreichs KP, aus der Isolierung herauszutreten und im

Wahlkampf wie in der Politik — nach den Wahlen — wieder ein Faktor zu werden; und sei es nur, daß ein Wahlkampf im Zeichen der „Volksfront” die inner österreichischen Gegensätze verschärft; sei es nur, daß die Sozialisten in eine Position gedrängt werden, die später nicht mehr so leicht aufgegeben werden kann.

Eine Volksfront im Sinn von gemeinsam geplanten und durchgeführten Aktionen steht m Österreich (noch?) nicht ernsthaft zur Diskus- sion. Dazu haben die Kommunisten den Sozialisten viel zu wenig zu bieten, und die Sozialisten müssen viel zu sehr fürchten, durch eine offene Wahlabsprache mit dem Linksextremismus mehr zu verlieren als zu gewinnen. Aus diesem Grunde kann sich auch die Überlegung, die mehr als 100.000 Stimmen, die von der KPÖ der SPÖ zugeführt werden, würden der SPÖ den Bundeskanzler bescheren, sehr leicht als Milchmädchenrechnung und als Bumerang herausstellen. Weiß doch niemand, wieviele Wähler die ÖVP mit ihrem Hinweis auf die von den Sozialisten zwar nicht erbetene, aber auch nicht abgelehnte kommunistische Schützenhilfe für sich gewinnen kann.

Kann also auch von einer „Volksfront” im eigentlichen Sinn nicht gesprochen werden, so schafft die Wahlempfehlung dennoch aus mehreren Gründen prinzipielles Unbehagen. Die offene Aufforderung der KPÖ an ihre Wähler, sozialistisch zu wählen, „um die gefährlichen reaktionären Pläne der ÖVP zum Scheitern zu bringen” (so der kommunistische Wahlaufruf), wird zweifellos eine Verschärfung des Wahlkampfes bewirken. Was aber die österreichische Demokratie heute benötigt, ist nicht eine Vertiefung der politischen Gräben und eine Polarisierung des gesamten politischen Lebens, sondern eine Verstärkung des demokratischen und österreichischen Bewußtseins.

Auch für die Zukunft der SPÖ kann die kommunistische Anbiederung nicht gleichgültig sein. Erreichen die Sozialisten mit Hilfe der kommunistischen Stimmen ihr Wahlziel, nämlich die relative Mehrheit, bedeutet das eine Stärkung des Flügels innerhalb der SPÖ, der auf eine weitgehende Reideologisierung der Partei hinarbeitet, aber auch das vorläufige Ende der Möglichkeit, zu einem echten demokratischen Sozialismus zu gelangen. Die parteiinterne Linke kann dann mit Berechtigung darauf hinweisen, daß ihr Rezept der stillschweigenden Tolerierung der kommunistischen Schützenhilfe bei gleichzeitiger Einstellung antikommunistischer Polemiken erfolgreich war. Bleibt aber der SPÖ trotz massiver Unterstützung von kommunistischer Seite der Erfolg versagt, werden jene Kräfte, die von ganz links geringschätzig „Pluralismus- Philosophen” genannt werden, ihr Konzept einer Öffnung nach rechts, einer Entdogmatisierung der sozialistischen Politik und eines Ausbruchs (įus dem ideologischen Ghetto eines überholten Marxismus, besser zur Geltung bringen können. Gerade für die österreichischen Katholiken ist dieses Spannungsverhältnis innerhalb der SPÖ von Interesse, entledigte man sich doch in jüngster Zeit aller jener, die, wie der Wiener Stadtschulratspräsident D r. Max Neugebauer, aus ihrer Zugehörigkeit zur katholischen Kirche nie ein Hehl gemacht haben.

Obwohl die sozialistische Parteiführung schon lange mit einem derartigen kommunistischen Wahlaufruf hatte rechnen müssen, obwohl man sogar von Abmachungen zwischen Pittermann und Muhri hörte, taten ihre ersten offiziellen Sprecher fast so, als wären sie davon überrascht worden. Es ist aber keineswegs richtig, daß das, was die Kommunisten tun, nur deren eigene Angelegenheit wäre. Diese Form der Tolerierung, wie sie von der SPÖ gehandhäbt wird, ist ganz gewiß nicht die glücklichste Art des Re- agierens, die man sich denken kann. Eine sofortige entschiedene Distanzierung von allen ausgesprochenen und unausgesprochenen kommunistischen Spekulationen hätte mitgeholfen, das unabhängig von allen Wahlkampftönen vorhandene große Unbehagen zu vermindern.

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