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Kanadisches Duell

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Zum drittenmal innerhalb von vier Jahren ziehen nun die Ein-wohner des zweitgrößten Landes der Erde zur Wahlurne. Wieder steht der Wahlkampf Im Zeichen des Duells zweier ebenso interessanter wie grundverschiedener Persönlichkeiten. Lester Bowles Pearson (68), der Friedensnobelpreisträger, war Historiker, Diplomat und Außenminister, ehe er Führer der Liberalen Partei und Regierungschef wurde. Die Liberalen stellten im letzten Parlament 127 (von 245) Abgeordneten. Der Führer der Konservativen, Altministerpräsident John Diefenbaker (70), war Anwalt in der Prärie. Er ist väterlicherseits deutscher Abstammung. Die Konservativen waren mit 92 Abgeordneten im letzten Parlament repräsentiert. Die Sozialisten hatten 18 Abgeordnete; Social Credit hatte neun Mandatare; der von der Partei abgesplitterte Quebec-Flügel zählte 13 Abgeordnete. Außerdem gehörten zwei Unabhängige dem Parlament an. Auch gab es vier Vakanzen.

Plus und Minus der Liberalen

Der in Kanada vorherrschende Boom bewegte Premierminister Pearson dazu, Neuwahlen auszuschreiben. Pearson argumentierte, daß eine Minderheitsregierung, die jeden Tag gestürzt werden könne, in diesen bewegten Zeiten durch ein Kabinett ersetzt werden solle, das sich auf eine Mehrheit im Parlament stützen könne. Anderseits wird eine Koalition in Ottawa nur während eines Krieges überhaupt auch nur in Erwägung gezogen.

Die riesigen Weizenverkäufe an die Sowjetunion, das Sinken der Arbeitslosigkeit, die Steuersenkung, die Wahl einer kanadischen Flagge und soziale Maßnahmen sowie der neue Pensionsplan werden als Aktivum der Regierung Pearson gewertet. Doch die Liberalen haben auch gewichtige Handikaps. Der Quebec-Flügel der Partei kreierte immer neue Skandale. Ein Kabinettsminister, Yvon Dupuis, mußte wegen „Einflußhausiererei“ schnell kaltgestellt werden. Enge Mitarbeiter prominenter frankokanadischer Minister war in die berüchtigte Rivard-Affäre verwickelt. Sie hatten sich bemüht, die Haftentlassung des Rauschgiftschmugglers Lucien Rivard (dessen Auslieferung die Vereinigten Staaten forderten) zu betreiben. Selbst ein liberaler Abgeordneter hatte sich dafür eingesetzt; indirekt... Ein anderer Montrealer Parlamentarier hatte sich bei Grundstückverkäufen an die Schulbehörde auf eine Weise bereichert, die seiner politischen Karriere ein Ende setzte.

Ein weiteres Handikap der Regierungspartei ist der Umstand, daß Neuwahlen ausgeschrieben wurden, ehe es zu einer neuen Einteilung der Wahlkreise kam. Das führt dazu, daß der kleinste Wahlkreis Kanadas — lies de la Madeleine im Golf des St. Lawrence — nur 12.000 Einwohner hat; anderseits beträgt die Bevölkerung von Scarborough (einem Vorort Torontos) mehr als 400.000! Der konservative Kandidat von Scarborouc/h erscheint nun bei den Wahlversammlungen auf dem Podium neben drei leeren Sesseln. Sie repräsentieren drei weitere Abgeordnete, auf welche die Wähler dieses Distriktes ein Anrecht hätten ...

Konservative „Rebellen“

Doch auch die Konservativen haben es nicht zu leicht. Ihr Parteiführer John Diefenbaker hat besonders in den beiden größten Provinzen — Ontario und Quebec — eine nicht unwesentliche Opposition in den eigenen Reihen. Immerhin gelang es ihm bei Beginn des Wahlkampfes, viele der einstigen Rebellen (darunter auch einige Mitglieder seines letzten Kabinetts) wieder für die aktive Mitarbeit zu gewinnen.

Die Liberalen dominieren vorwiegend in Ontario (wo sie 51 von 85 Sitzen eroberten), in Quebec (wo sie 46 der 75 Abgeordneten stellten) und in Neufundland (wo sie alle sieben Sitze gewannen). Am schwächsten sind die Liberalen in den Prärieprovinzen Alberta, Manitoba und Saskatcfaewan, wo sie nur drei von 48 Mandaten gewannen.

Die Konservativen dominieren in diesen drei Prärieprovinzen. Sie eroberten hier 41 von 48 Sitzen, darunter alle 17 Mandate Saskatehe-wans, der Provinz John Diefen-bakers. Auch in dem „Farmgürtel“

Onfcarios gelang es den Liberalen nicht, durchzubrechen. Ein Wahlsieg der Konservativen erfordert einen Triumph in der „Herzprovinz“ Ontario, die mit 85 Abgeordneten in Ottawa repräsentiert ist. Ungünstig sind ihre Chancen bei den Frankokanadiern Quebecs. Man rechnet damit, daß sie hier nicht einmal ihre acht Mandate werden halten können. Acht von 75 ...

Die Sozialisten, von dem fähigen Tommy Douglas geführt, hoffen auf Mandatsgewinne, die sich aber in bescheidenen Grenzen halten sollten. Am stärksten sind die Sozialisten in British Columbia, der westlichen Provinz, wo sie mehr Mandate als jede andere Partei gewannen; neun von 22. In Ontario sind die Sozialisten durch sieben Mandatare repräsentiert.

Eine neue Partei

Während des letzten Parlamentes zerfiel die Social-Credit-Partei in zwei Flügel. 13 Abgeordnete Quebecs bildeten eine neue Partei, die Creditistes; neun Mandatare blieben der alten Fraktion treu, doch nach Ausschreibung der Neuwahlen sagten sich die verbliebenen fünf Abgeordneten aus Quebec auch von der Social-Credit-Partei los. Social Credit steht rechts von den Konservativen und bildet seit Jahren in Alberta und Britisch-Kolumbien die Landesregierung. In Ottawa aber blieb Social Credit das fünfte Rad am Wagen.

Pearsons Partei hofft, am 8. November mehr als 150 Sitze zu gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, muß eine Anzahl von Mandaten in der Prärie erobert werden. Handelsminister Mitchell Sharp, einer der fähigsten Männer um Pearson, ist mit dieser Aufgabe betraut.

Zur Zeit herrscht hier die Meinung vor, daß die Liberalen als stärkste Partei aus dem Wahlkampf hervorgehen werden. Es mag ihnen auch gelingen, die absolute Mehrheit zu erreichen. Sehr knapp. Wieder einmal erinnern sich aber Kanadier an das alte Bonmot: „Wahlen und Pferderennen haben etwas gemeinsam. Am Tage nachher weiß man mehr darüber...“

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