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Das Ende der Honoratioren

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Vor jeder ersten Tagung eines neuen Bundestags spielt sich die gleiche Szene ab: die bisherigen Mitglieder treffen sich mit den nfeuen Abgeordneten der jeweiligen Fraktion zu einer gemeinsamen Sitzung. Und jedesmal sind unter den „Bisherigen“ solche Parlamentarier, die weder Sitz noch Stimme im neben Parlament haben werden. Nach der Wahl vom 28. September war es nicht anders, was sich aber zumindest in zwei der drei Fraktionen von den früheren Treffen unterschied, wär die Tatsache, daß viel mehr „Bisherige“ nicht wieder in die Fraktion zurückkommen, wenn sie sich nach der konstituierenden Sitzung des Parlaments gebildet hat. Die meisten der ausscheidenden „Bisherigen“ gehörten der FDP-Fraktion an, den „Freien Demokraten“, die im neuen, dem 6. Bundestag nur noch mit 30 statt wie bisher mit 49 Abgeordneten; vertreten sind. Aber auch bei den anderen beiden Fraktionen, die ihren Bestand entweder erheblich vergrößern konnten (SPD jetzt 224 Abgeordnete statt bisher 202) öder geringfügig verkleinern mußten (CDŲ CSŲ jetzt 242 statt 245), Wird es viele nebe Gesichter geben. Das liegt einmal an der in allen drei Fraktionen zu verzeichnenden „Verjüngung“ des Hohen Hauses am Rhein. Das Durchschnittsalter der Abgeordneten steht heute bei 49 statt der bisherigen 54 Jahre, Die vielen neuen Gesichter kommen aber auch daher, daß manche politische Laufbahn den Wahlsonntag nicht überstanden hat. Da es sich des öfteren in diesem Zusammenhang um ältere Parlamentarier handelt, spricht man im politischen Bonn vom „Ende der Honoratioren“. Bislang, so sagt man, vertraute vor allem die CDU-Führung bei der Kandidatenaufstellung darauf, daß geachtete Männer des bürgerlichen Lebens — „Honoratioren“ also — auf Grund ihrer Lokalprominenz oder ihres überregionalen Ansehens das Wahlergebnis nicht nur beeinflussen, sondern auch bestimmen konnten. Hinzu kam, daß diese Politiker zumeist auch über einen festen Stamm treuer Gefolgsleute verfügten, die „ihrem Mann“ bei den Kandidaturen innerhalb der Partei auf einen sicheren Platz verhalfen. Daß die Wähler anders entscheiden konnten, zeigte sich bereits bei den Bundestagswahlen im Jahre 1965 — vor allem aber wurde das bei der gerade vollzogenen Wahl deutlich.

„Prominenz“ ist stark

Musterbeispiel ist der Wahlausgang in Karlsruhe, dem Sitz des Obersten deutschen Gerichts. Dort verlor der ehemalige Generalbundesanwalt Dr. Max Güde — Vorsitzender des Strafrechts-Sonderausschusses im Bundestag — seinen bis dahin absolut zuverlässigen CDU-Wahlkreis an einen jungen Sozialdemokraten, den Rechtsanwalt Peter Corterier. Auf der CDU-Landesliste abgesichert war dagegen Bundesverteidigungsminister Dr. Schröder. Er wird dem neuen Bundestag also weiterhin angehören, obwohl er sein Direktmandat an den für die SPD kandidierenden stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Georg Neemann, abgeben mußte. Der Absage an die Honoratioren fielen auch der Vizepräsident der EWG- Kommission, Dr. Fritz Hellwig (CDU), und der Kandidat der FDP, der Wirtschaftsexperte dieser Partei, das Mitglied des Direktoriums der Farbwerke Höchst, Menne, zum Opfer. Anderseits weist man in Bonn an Hand umfangreichen Zahlenmaterials darauf hin, daß bei dem Trend gegen die „Honoratioren“ deutlich ein Unterschied zwischen der landläufig so genannten „Prominenz“ und den wirklichen Spitzenpolitikern gemacht werden müsse. Sie hätten sich durchweg ausgezeichnet gehalten und auf Grund ihrer Persönlichkeit das jeweilige Direktmandat errungen. Die für sie abgegebenen Stimmen lagen nämlich durchweg erheblich höher als jene für die betreffende Partei. So gewannen Finanzminister Strauss 4070, Bundeskanzler Kiesinger 3754 und Postminister Dollinger sogar 5123 Stimmen mehr als in ihren jeweiligen Wahlkreisen für die CDU

abgegeben wurden. Nicht anders verhielt es sich bei den Sozialdemokraten: Entwicklungshilfeminister

Eppler gewann 7257, Verkehrsminister Leber 6263, Justizminister

Ehmke 5484 und Wirtschaftsminister Schiller 4460 Stimmen; die Wähler hatten sich in diesem Ausmaß nicht für die Partei der Gewählten engagiert.

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