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Die EU macht zu schnell zu viele Schritte, fürchtet FPÖ-Europasprecher Reinhard Bösch. Diese Angst kann ihm sein SPÖ-Pendant Caspar Einem im Furche- Streitgespräch nicht nehmen. Macht fast nichts, denn beide sind auch Mitglieder des EU-Konvents und können dort zum Wohle der Union weiter debattieren.

Die Furche: Herr Abgeordneter Bösch, Sie sind Mitglied im EU-Konvent. Dieser hat den Auftrag erhalten, die EU näher an die Bürger zu bringen. Dient die Politik Ihrer Partei demselben Zweck?

Reinhard Bösch: Selbstverständlich. Das Ziel von uns Freiheitlichen, die EU bürgernäher zu machen, ist sowohl bei den Positionen, die wir im Konvent vertreten, als auch in unserer ganzen Unionspolitik evident. Wir treten dafür ein, dass sich die EU mehr Richtung Bürger, mehr Richtung Nationalstaaten und regionale Bereiche bewegt. Wir achten darauf, dass die Kosten der EU-Organisation, aber auch die der Osterweiterung in vernünftigen Ausmaßen bleiben, und wir wollen Strukturen erreichen, die die Union für die Bürger durchschaubarer macht.

Caspar Einem: Während Kollege Bösch weniger Union und mehr Nationales und Regionales haben will, denken wir, dass die Union eine eigenständige, demokratische Ebene für jene Politik darstellen soll, die nur auf europäischer Ebene effektiv gemacht werden kann. Unser erstes Anliegen ist es nicht, dass man möglichst viel möglichst weit unten macht. Unser erstes Anliegen ist eine effiziente Politik. Wir wollen, dass die EU demokratischer und für die Menschen spürbarer wird, damit sie die Union auch als Nutzen erleben können.

Die Furche: Stichwort Nutzen. Ist es klug, Herr Bösch, wenn die FPÖ ständig österreichische gegen europäische Interessen ausspielt?

Bösch: Es geht dabei überhaupt nicht um das Gegensatzpaar österreichische versus europäische Interessen. Es geht schlicht und einfach darum, dass man als Staat seine Positionen einbringen muss. Bei der Auseinandersetzung zwischen den großen EU-Staaten zur Agrarpolitik haben wir das ja gerade wieder einmal beispielhaft erlebt. Diese Länder vertreten alle ihren Standpunkt und ich bin der Ansicht, dass auch Österreich das tun muss.

Einem: Man kann und muss die Interessen seines Staates einbringen, keine Frage. Andererseits muss man sehen, dass das nationale Interesse nicht immer so ohne weiteres fassbar ist. Beispiel Transit: Die Interessen der Anrainer in Tirol sind andere als die der Tiroler Frächter, die sich wiederum von den Interessen der internationalen Frächter unterscheiden. Nur durch eine europaweite Übereinstimmung können wir zu einer nachhaltigen Verkehrskonzeption insgesamt kommen. Wenn wir aber in Brüssel primär Österreich spielen, dann erreichen wir das, was es uns so schwer macht, eine Übergangsregelung für den Transitvertrag zu finden. Denn allen geht Österreich schon fürchterlich auf die Nerven. So ähnlich, wie die Spanier auch allen anderen auf die Nerven gehen, wenn sie über Gibraltar streiten.

Die Furche: Thema Tschechien - wie stark strapazieren wir da schon das Nervenkostüm unserer EU-Partner?

Bösch: Wir wollen, dass vor dem Beitritt Tschechiens, aber auch anderer Kandidatenländer, gewisse Voraussetzungen erfüllt werden: Der Ausstieg aus der Atompolitik , bzw. eindeutige AKW-Sicherheitskriterien sowie eine klare Verkehrskonzeption müssen hier an erster Stelle genannt werden. In solchen Fragen bin ich froh, wenn wir den anderen auf die Nerven gehen. Ich bin mir dazu nicht zu schade, den anderen in der Union auf die Nerven zu gehen, wenn es um essenzielle Bereiche für Österreich geht.

Die Furche: Zu diesen essenziellen Bereichen gehören die BenesÇ-Dekrete?

Bösch: Wir verlangen die Aufhebung jener Dekrete, die spezifisch die Vertreibung der deutschen Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg betreffen.

Die Furche: Würde eine Geste der Versöhnung, wie es sie auch gegenüber Deutschland gegeben hat, ausreichen?

Bösch: Ich erwarte mir sicherlich mehr, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Staat Mitglied der Union wird, der solche Bestimmungen in seiner Verfassung hat.

Die Furche: Auch wenn Verfassungsrechtler in der EU der tschechischen Verfassung Unbedenklichkeit bescheinigen?

Bösch: Es gibt verschiedenste Gutachten zu diesem Thema. Das ist eine Frage der politischen Wer-tung und wir werten das so, wie ich es gesagt habe.

Die Furche: Aber der offizielle Gutachter der EU hält die tschechische Verfassung für konform mit der Union.

Bösch: Das kann schon sein.

Die Furche: Und wie kommen wir dann raus aus diesem Schlamassel?

Einem: Das, was es braucht, ist eine Geste der Versöhnung. Eine Anerkennung der Tatsache, dass es im Zusammenhang mit der Vertreibung der deutschsprachigen Minderheit zu Untaten gekommen ist, für die man zumindest im Nachhinein moralische Verantwortung übernehmen muss. Das ist ein Akt, den man verlangen kann, und eine solche Geste wünschen wir uns.

Die Furche: Wie realistisch ist ein Einlenken Tschechiens in dieser Frage?

Einem: Ich nehme an, dass eine solche Geste auf diplomatischem Weg erreichbar ist. Aber je mehr öffentlicher Druck ausgeübt wird, desto sicherer ist, dass die tschechische Regierung diesen Wunsch nicht erfüllen kann. Dafür, wie Regierungen auf Druck von außen reagieren, gibt es ja genügend Beispiele.

Die Furche: Ist diese Auseinandersetzung möglicherweise ein Stellvertreterkrieg für etwas anderes? Dafür, dass die EU-Bürger mit der Geschwindigkeit der Erweiterung überfordert sind?

Einem: Viele EU-Bürger machen sich Sorgen und manche Sorgen sind berechtigt. Aber insgesamt ist die Erweiterung gut vorbereitet und in Wahrheit gibt es keine Alternative dazu.

Die Furche: Ein negatives Ergebnis beim irischen Referendum hätte aber eine Alternative nötig gemacht.

Einem: Wir müssen uns fragen, ob es eine weise Entscheidung ist, die Bevölkerung nur alle heiligen Zeiten abstimmen zu lassen. Das Risiko ist dann sehr hoch, dass dort andere Rechnungen beglichen werden. Wenn man die Bevölkerung fragen will, muss man sie öfters fragen und daran gewöhnen, dass sie in Sachfragen entscheidet.

Die Furche: Die Bevölkerung öfters fragen - Herr Bösch, das ist doch gewiss ein Punkt, dem Sie zustimmen werden?

Bösch: Sofort! Die irischen Erfahrungen zeigen, dass die EU, wenn sie vom Bürger gefordert wird, durchaus in der Lage ist, die Union in ihrer Gesamtheit und Zielrichtung klarzumachen. Mehrere Möglichkeiten für plebiszitäre Entscheidungen sind zu begrüßen und wir sollten im neuen Verfassungsvertrag, an dem der Konvent gegenwärtig arbeitet, dieses Element berücksichtigen. Viele Menschen können der Unionspolitik nicht mehr richtig folgen. Die Gefahr besteht, dass die EU zu schnell zu viele Schritte macht und ins Stolpern gerät. Die EU darf nicht zu einem unregierbaren Moloch werden.

Die Furche: Wieweit gehen Ihre plebiszitären Vorstellungen? Sollten auch Abstimmungen zum Austritt eines Landes aus der EU möglich sein?

Bösch: Selbstverständlich muss ein Staat wieder aus der Union austreten können. Vor allem sollte man darauf achten, dass grundlegende Verfassungsänderungen auch auf Unionsebene einer Volksabstimmung unterworfen werden.

Die Furche: Im Rohgerüst für die EU-Verfassung, das Giscard d'Estaing Anfang der Woche präsentiert hat, gibt es ja schon einen Austritts-Passus.

Einem: Genausowenig wie sich diese Frage auf staatlicher Ebene stellt - ob Bundesländer austreten oder dabei bleiben - , sollte sie sich auf EU-Ebene stellen. Insbesondere dann, wenn man das Ziel, dass es zu einer immer engeren politischen Union kommen soll, ernst nimmt. Wir sind für eine stärkere Integration, unter der Bedingung einer demokratischen Ausgestaltung der Union. Je stärker diese Integration wird, desto absurder ist die Vorstellung, daraus wieder auszutreten. Die wesentliche Entscheidung ist beim Eintritt zu treffen, ob man drin sein will oder nicht.

Die Furche: Erfahrungen - gerade der jüngeren Vergangenheit - zeigen, dass Nationalstaaten auseinander brechen können. Genauso könnte die EU ein Mitgliedsland, das gegen EU-Prinzipien verstößt, ausschließen wollen.

Einem: Gegen diese Art von auseinanderstrebenden Kräften, wie wir sie beim Zerfall des Kommunismus erlebt haben, hat die EU eine Reihe von guten Vorkehrungen. Hier braucht es Menschen- und Minderheitenrechte, außerdem ein großes Maß an individueller Freiheit und Gruppenfreiheit. Oberstes EU-Ziel muss es aber sein, eine politische Gemeinschaft zu bilden, die es für niemanden wünschenswert macht, wieder zu gehen.

Die Furche: Herr Bösch, die FPÖ hat stets auf eine starke Vertretung Österreichs bei den EU-Erweiterungsverhandlungen gepocht. Gerade in der entscheidenden Phase dieser Verhandlungen steht Österreich jetzt auf Grund der FPÖ-Krise ohne Regierung da. Sie haben mit Ihrer Politik also das Gegenteil des von Ihnen Angestrebten erreicht?

Bösch: Das glaube ich nicht. Im Lichte des kommenden Wahlausgangs wird zu beurteilen sein, wie sich die Positionen in Bezug auf die EU präzisieren lassen.

Einem: Durch diese jetzt abtretende Regierung ist die Position Österreichs in der EU natürlich nicht gestärkt worden. Dazu kommt, dass die Antworten auf wichtige Fragen durch die häufigen Ministerwechsel verschleppt worden sind. Man kann in einerPhase, in der der Transitvertrag ausläuft, nicht jährlich den Verkehrsminister wechseln und dann erwarten, dass starke Lösungen herauskommen. Dort hätte es ein konsistentes Arbeiten gebraucht. Das hat es leider nicht gegeben und das wird ein Nachteil für Österreich sein.

Das Gespräch moderierte Wolfgang Machreich.

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