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Ein Thriller, wir die Leser — und die Gewalt

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Im Umgang mit Gewalt sind wir schlecht eingeübt. Oft merken wir nicht, wie wir von ihr gefesselt sind, und dann, ohne viel zu tun, zu ihren Kollaborateuren werden.

Der Untertitel „Thriller" berechtigt zu etlichen Erwartungen: Spannung, Action, Schwarzweiß von Gut und Böse et cetera. Kurz: Unterhaltung. Auch Kitsch darf sein, vermischt mit echten Gefühlen, Zeitgeschichte und Phantasie, Sachinformation und Unwahrscheinliches. Erlaubt ist, was gefällt.

In diesem Sinn ist „Flug der Störche" ein vorzügliches Buch. Der Autor, Franzose, Jahrgang 1961, ist ein renommierter Reisejournalist, der hier seinen ersten Roman vorlegt. In der Story überlagern sich drei Fälle: ein Diamantenschmuggelring benutzt den Vogelzug, um die Millionenstücke elegant aus Afrika direkt in Schweizer Storchennester zu verfrachten. Der zweite Fall: Organschmuggel. Die Herzen von Zigeunern, Negern und anderen „Unzivili-sierten" werden mit High Tech geklaut und herzlosen Weißen implantiert. Im Hintergrand steht eine humanitäre Weltorganisation mit honoriger Fassade, doch einem perversen Monster an der Spitze. Im dritten Strang das Erzähler-Ich als Fahnder, der höchst fatal mit dem Monster in Beziehung steht.

Die Konstruktion des Ganzen ist recht gerissen. Dazu kommt, daß man sachkundig geführt wird: in die Länder längs des Vogelzugs, Bulgarien, Israel, Zentralafrika; aber auch in Sachgebiete wie Diamantenabbau, Herzchirurgie oder das Leben der Pygmäen. Die Story selbst ist ein gelungenes Implantat in die Zeit um 1991. Die beiden Gewebe, das echte und das erfundene, passen erstaunlich gut zusammen: keine Abstoßreaktion. Der Thrillerleser kann mit seinem Kauf zufrieden sein.

Doch es besteht Grund zur Beunruhigung. Im Buch gibt es ein gutes Dutzend von Gewaltszenen. Zunächst indirekt, etwa bei der Autopsie einer Leiche, die ergibt, daß das Organ ohne Narkose entnommen wurde. Dann werden die Berichte direkter: Beteiligte sagen aus, grausige Umstände werden ausgemalt, Gewaltszenen aus der Zeit Bokassas werden eingeblendet. Gewalt ist überall präsent, von der Marktszene, wo sie in den Hühnerschlächter fährt, bis zu den Träumen, wo sie enthemmt aus den Tiefen quillt. Unverhüllter Gru-sel, buchhalterisch seriös, todernst, im sauberen Gewand der journalistischen Recherche.

Gewalt geschieht auch durch den Ich-Erzähler selber, der die auf ihn angesetzten Killer killt, kunstvoll hineinkomponiert in eine Schlägerei von Palästinensern mit der Polizei. Privatgewalt im Schlagschatten der Staatsgewalt. In Afrika ist dann jede Rücksicht überflüssig: Der Bezirkshauptmann, der nicht gleich die gewünschte Auskunft gibt, wird vom weißen Besucher solange gewürgt, bis er spricht.

Wie gehe ich als Leser nun um mit dieser Gewalt, die mich anspringt mit der Suggestivkraft eines Fernsehfilms? Ich mache keine Vorwürfe, weder dem Autor, der kalkuliert und sein Produkt auf die Verbraucherbe-dürfnisse zuschneidert, noch dem Sado-Maso-Geilen, der davon fasziniert ist. Aber ich breche die Kette von Angebot und Nachfrage bei mir selber auf: ich weigere mich als Nichtre-zensent prinzipiell, solches Fernsehen anzusehen und solche Bücher zu lesen. Und wenn ich als Rezensent dazu gezwungen bin, dann spreche ich solchen Werken ihre Harmlosigkeit ab.

Ich sensibilisiere mich und vielleicht auch andere dagegen. Mit aller Vorsicht lesen, dies rate ich, und auf die unsichtbare Grenze achten, wo der Zuschauer oder Leser zum Kollaborateur wird, allein dadurch, daß er zuschaut oder liest.

Dies wäre bereits der Anfang einer Einübung des richtigen Umganges mit der Gewalt.

DER FLUG DER STORCHE

Thriller von Jean-Christophe Crange. Ehrenwirth Verlag, München 1996. 366 Seiten, geb., öS 326.-

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