Erde aus dem Staub der Toten

Werbung
Werbung
Werbung

Der spanische Schriftsteller Max Aub wäre am 2. Juni 100 Jahre alt geworden. "Das Spanische Labyrinth" gilt als umfangreichstes Prosawerk über den Spanischen Bürgerkrieg und liegt nun neu übersetzt vor.

Werden wir aus diesem Labyrinth herausfinden?" Diese Frage des Arztes Julián Templado gilt gleichermaßen für Biografie und Ästhetik des "größten spanischen Autors dieses Jahrhunderts" (FAZ) und seinen sechsbändigen Romanzyklus. Im ersten Band "Nichts geht mehr" ("Campo cerrado") besteigt der 16-jährige Rafael Serrado den Postzug nach Barcelona. Er kommt aus dem Dorf Viver de las Aguas, in dem jedes Jahr im September ein Feuerstier mit brennenden Pechkugeln an den Hörnern durch die Stadt gejagt wird. Ein ganzes Dorf wird zu einer blutigen Arena.

Dieses Bild steht gleichsam emblematisch am Anfang dieses Romanzyklus, der sich von 1929 bis zum zweiten Weltkrieg hin spannt. Rafael Serrado lernt das breite Spektrum der Ideologien am eigenen Leib kennen: Etwa den heuchlerischen "König, Gott und Vaterland"-Gesinnungsterror seines Arbeitgebers. Und er kommt in Kontakt mit Anarchisten, Kommunisten. Die Diktatur Primo de Riveras wird gestürzt, die 2. Republik wird ausgerufen. "Man ist Revolutionär oder Reaktionär". Noch sprechen die falschen Zungen und nicht die Waffen.

Spanien ist das Labyrinth

Was als klassischer historischer Entwicklungsroman beginnt, verzweigt sich bald zu einem gewaltigen Panoptikum der spanischen Gesellschaft unmittelbar vor und bei Ausbruch des Bürgerkriegs. Am Ende des ersten Bandes kommt es schließlich zur Erhebung der Faschisten. Die Falangisten schwärmen fächerhaft aus. Und die Männer wollen kämpfen. "Monate, Jahre haben sie auf diesen Augenblick gewartet." Am Ende besorgen sich die Anarchisten die Waffen selbst, nachdem der Innenminister deren Ausgabe verweigerte. Die Kirchen brennen nach dem Motto: "Wenn es keine Pfarrer mehr gibt, wird es auch keine Reichen mehr geben."

In "Die Stunde des Verrates" (Campo del Moro) gerät die Welt endgültig aus allen Fugen und implodiert geradezu. März 1939: Ein Flugzeug steht für die noch verbliebenen Minister bereit. Es kursieren Gerüchte von einem Putsch gegen die Regierung. Der Präsident hat scheinbar abgedankt. Die Faschisten stehen vor Madrid. Es geht nicht mehr um die Frage, ob Sieg oder Niederlage, sondern nur noch um die bestmögliche Kapitulation. Hier wird der fehlende Schulterschluss der antifaschistischen Kräfte reflektiert. Auch im Privaten werden die letzten menschlichen Bande zerstört.

Im fünften Band "Am Ende der Flucht" (Campo francés) wechselt Aub die Perspektive und schildert den spanischen Bürgerkrieg aus der Perspektive Frankreichs. Der ungarischstämmige Jules wird in Paris versehentlich anstelle seines Bruders Jean, einem Freiwilligen der internationalen Brigaden, der für die Republik in Spanien kämpfte, inhaftiert. Jules ist im hellinistischen Sinne des Wortes ein "Idiot": einer der von Politik nichts wissen will. Seine Passivität führt direkt ins Verderben. Er steht damit Modell für jenes mittelständige Kleinbürgertum, das die Appeasement-Politik der Zugeständnisse an die erstarkenden Faschisten in ganz Europa ideologisch legitimierte. Aub überschreitet im vorletzten Band auch formal die Grenze zwischen Film und Roman: In der drehbuchartigen Szenenmontage werden Wochenschauen, Radionachrichten, mit szenischen Bildbeschreibungen und Dialogpassagen montiert. Aub wusste, wovon er sprach, schließlich drehte er zusammen mit André Malreaux den Dokumentarfilm "Sierra de Terruel" inmitten des Bürgerkriegsgeschehens. Und er "wechselte direkten Weges vom Filmset ins Konzentrationslager": Aub war ebenso wie sein Protagonist Jules im Tenniscourt von Roland Garros im Sommer 1940 inhaftiert, nachdem er als Kommunist denunziert worden war. Ihm gelang schließlich mit viel Glück die Flucht nach Mexiko aus dem algerischen Konzentrationslager von Djelfa.

Am Ende: Unordnung

Im letzten Band "Bittere Mandeln" ("Campo de los Almendros") tauchen noch einmal alle wichtige Figuren des Romanzyklus auf. Willkürliche Erschießungen, Misshandlungen, Denunziationen stehen auf der Tagesordnung, während Polen und die Tschechoslowakei aufgehört haben, zu existieren. Die Schicksale von bekannten Figuren, aber auch von Namenlosen werden verfolgt. Hier zerfließt auch eine klare zeitliche Ordnung innerhalb der Romanstruktur: Zeit und Schicksale verlieren sich in einem ziel- und bedeutungslos gewordenen Geflecht einer menschenunwürdigen Raum-Zeit-Unordnung: Die Faschisten haben gesiegt.

Inmitten von Menschenmassen voller atomisierter und zerstörter Existenzen erübrigt sich die Suche nach einem ordnenden Erzählstrang, Figuren flackern auf und verglimmen wie die Pechkugeln auf den Hörnern des Feuerstiers von Viver de las Aguas. Der Autor ist vom Gewicht seines geschichtsträchtigen Materials erdrückt worden und wird unsichtbar.

"Campo" - so das magische Wort, das alle Romantitel im Original durchzieht, heißt auf deutsch "Feld, Erde", aber auch "Lager". Im letzten Band wird das Gewicht dieses Wortes noch einmal betont: "Ich glaube, die Erde ist aus dem Staub der Toten gemacht." Als Max Aub 1969 nach 30 Jahren erstmals wieder spanische Erde betrat, notierte er in sein Tagebuch: "Du weinst, [...] weil hier keiner dein Werk kennt, es hat hier kein Zuhause." Zumindest im deutschsprachigen Raum könnte dieser von Albrecht Buschmann und Stefanie Gerhold glänzend übersetzte und kommentierte Erzählkosmos nun ein Zuhause bekommen.

Das Magische Labyrinth

Nichts geht mehr. Theater der Hoffnung. Blutiges Spiel. Die Stunde des Verrats. Am Ende der Flucht. Bittere Mandeln

Romanzyklus von Max Aub

Eichborn, Frankfurt 2003

6 Bände in Kassette, geb., e 154,10

1937 beauftragt Max Aub als Kulturattaché der spanischen Republik in Paris seinen Freund Picasso mit einem Wandgemälde für die Weltausstellung. Zwei Tage nach der Zerstörung Guernicas durch deutsche Bomber beginnt Picasso seine Arbeit. "Guernica" wird zu einem Schrei gegen Krieg und Barbarei. Der Stier (Franco) erscheint in vielen Bildern Picassos. bsh

Bildquelle: Picasso kompakt. Belser Verlag, Stuttgart 2003. 431 Seiten m. 400 Farbabb., geb., e 25,70 (Nach einer 8-seitigen Einführung in Leben und Werk 400 Seiten Abbildungen.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung