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Bildungspolitik ohne Utopien

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Ein Bildungsprogramm soll nicht nirgendwohin führen, also in jenes nichtexistierende Land, die Utopie. Es soll gestalten. Es ist ein politisches Programm, kein Spiel der Gedanken.“ Mit dieser prinzipiellen Feststellung profiliert Josef Moderner, sozialistisches Mitglied des parlamentarischen Unterrichtsausschusses, seine Vorschläge für ein umfassendes Bildungsprogramm seiner Partei.

Im Gegensatz zum ideologisch in-doktrinierten Flügel der SPÖ betont der Autor „die Kraft und die Macht der Vererbung“, denn „... Anlage rangiert vor dem Milieu...“ Er lehnt jedoch linksideologisch fundierte Milieutheorien ebenso als unwissenschaftlich ab wie rechtsideologische Vererbungstheorien.

In seiner Stellungnahme gegen Utopisten verweist der Autor auf verbale Synthesen unvereinbarlicher Zielsetzungen. In diesem Sinne zeigt er „... die Unlogik der gleichzeitigen Forderung nach einer klassenlosen Gesellschaft und nach einer freien Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit ...“ und entlarvt die begriffliche Schwäche der unter verschiedenen Vorzeichen angestrebten „Chancengleichheit“. Der Autor warnt auch vor verbalen Synthesen unvereinbarlicher Standpunkte mit einem Hinweis auf die seinerzeit für den Austromar-xismus so charakteristische Synthese der Otto-Bauerschen Theorie der Revolution mit der Rennerschen Politik des maximalen Konsenses.

Maderner distanziert sich nicht nur von revolutionärem Utopismus, sondern verschmäht auch jegliche Werbung um allgemeine Zustimmung. So stehen seine Vorschläge für ein sozialistisches Bildungsprogramm im ausdrücklichen Widerspruch zum liberalen Individualismus und zum konservativen Beharren am Uberlieferten. Natürlich stößt der Autor auf Widerspruch innerhalb und außerhalb seiner Partei. Seine kritische Einstellung ist der Ausgangspunkt konstruktiver Vorschläge für durchgreifende Reformen.

Der Autor greift die Erstarrung des „eher zufällig entstandenen Fächerkanons“ an und damit die gegenwärtige Gliederung der Unterrichtsfächer. Er fordert auch eine größere Flexibilität in den ministeriellen Kompetenzbereichen, um etwa eine universitäre Ausbildung der Hauptschullehrer zu ermöglichen. Er illustriert seine Argumentation mit einem Hinweis auf die groteske Situation in Klagenfurt, wo die totale Trennung der Pädagogischen Akademie von der Universität für Bildungswissenschaften die Vergeudung von Millionen verursache und gleichzeitig eine sinnvolle Lehrerausbildung hemme.

Während im Schulwesen und in der Lehrerausbildung erstarrte Strukturen und fixierte Standesinteressen durchgreifende Reformen erschweren, leide die Erwachsenenbildung unter einer völligen Strukturlosigkeit. Diese sei ihrerseits institutionell verankert, und daher fehle es nicht an interessierten Befürwortern dieses Zu-stands. Hier verweist der Autor auf die dänische Volkshochschulbewegung und die von ihr geschaffenen beispielhaften Institutionen, deren Bildungswerk die kleine Nation befähigt hat, schwere wirtschaftliche und politische Krisen vorbildlich zu bestehen.

Maderners abschließende Zielsetzung wird, zum Unterschied von seinen überaus kontroversiellen Vorschlägen, weitgehend Zustimmung finden: „Eine Gemeinschaft braucht eine Aufgabe. Eine politische Großmacht kann Österreich nicht mehr werden. Eine Nation von 7,5 Millionen Menschen muß sich bescheiden. Zu den reichsten Nationen werden die Österreicher auch nicht zählen. Dazu reichen die Hilfsquellen nicht aus. Wer aber hindert uns daran, die gebildetste Nation zu werden?“

Damit sollen die Vorschläge des Autors nicht gegen Kritik immunisiert werden, sondern vielmehr innerparteiliche und zwischenparteiliche Kritik provozieren, denn nur im Licht unaufhörlicher und vielseitiger Kritik kann Bildungspolitik auf derartig anspruchsvolle überparteiliche Zielsetzungen ausgerichtet werden.

BILDUNGSPOLITIK JENSEITS DER STANDESINTERESSEN von Josef Maderner. Europaverlag. Wien-München-Zürich 1978.

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