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Zentrifugale Kräfte

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Die zentrifugalen Kräfte in den Parteien und in der Gesellschaft gefährden nicht nur das Zustandekommen des Budgets, denn auch wenn dieses mit Ach und Krach über die parlamentarische Bühne geht, bleiben sie als Stolpersteine und Sargnägel der Koalition, die sich von Fall zu Fall dahinschleppt, erhalten.

Österreich erlebt jetzt, daß sich bewährte Stabilisatoren und bequeme Stützen, wie es die Gewerkschaften und Interessenvertretungen jahrzehntelang waren, solange es genug zu verteilen gab, in einer Periode der Einschränkung und des Zurücksteckens als Hemmungsorgan und Belastungen des Systems erweisen.

Die starke Präsenz von Interessenvertretern im Parlament, die dem Grundgedanken der parlamentarischen Demokratie eigentlich widerspricht und eher einem Ständestaat angemessen ist, rächt sich in der gegenwärtigen Situation und macht die Regierung von der Wohlmeinung mächtiger gesellschaftlicher Gruppen abhängig.

In der SPÖ stellt die Verselbständigung der Gewerkschaft ein Problem dar, der ÖVP fällt ihre bündische Struktur, schon die längste Zeit eine Quelle von Reibungsverlusten und Hemmungen, auf den Kopf und erschwert die souveräne Gestaltung durch die Parteispitze.

Die Großparteien sind zu Gefangenen jener Gruppen geworden, die einst nur als dienstbare Geister und Filialen fungieren sollten und auch weitgehend so funktionierten.

Unter diesen Umständen müßte der Regierung das Angebot des Obmanns der Freiheitlichen, Jörg Haider, die Opposition in eine Sanierungspartnerschaft, die ja noch lange keine Regierungsbeteiligung bedeuten würde, einzubinden, willkommen sein, weil ein solches Agreement Kampfabstimmungen im Parlament vermeiden hilfe und die Opposition mit einem Teil der Verantwortung für unpopuläre Maßnahmen belasten würde.

Außerdem könnte man durch eine solche Konfrontation Haider, den seine Gegner als Demagogen abtun, als solchen entlarven, soweit er als solcher agiert, man müßte allerdings auch konstruktive Vorschläge, die von seiner Seite kommen, ernst nehmen und diskutieren.

Aber die Berührungsangst der Großparteien, besonders der Sozialdemokraten, ist so groß, daß sie an der von Vranitzky verordneten Ausgrenzungs- und Verteufelungs-taktik gegenüber Haider festhalten, obwohl diese Taktik Haider bisher nur stärker gemacht hat und die Großparteien weiter schwächt.

Es ist ein Zeichen der Schwäche und nicht der Stärke, wenn man sich an eine Konfrontation nicht heranwagt und weiter an einer unwirksamen, ja schädlichen Quarantäne festhält. Mit dem hierzulande üblichen „nicht einmal ignorieren” wird man jedenfalls dem Phänomen Haider nicht beikommen, sondern ihm nur neuen Zulauf verschaffen.

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