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Eine christliche Wirtschaftsordnung?

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Gibt es eine spezifisch christliche Wirtschaftsordnung, eine Wirtschaftsordnung, die sich als konkretes Ergebnis aus der christlichen Botschaft ableiten läßt?

Auf den ersten Blick ist man versucht, die Frage mit einem schlichten „Nein“ zu beantworten und Wirtschaftsordnung Wirtschaftsordnung. sein zu lassen. Denn in der Tat enthält die Heilige Schrift keinen praktischen Leitfaden für angehende Wirtschaftspolitiker.

Und doch brachte die Forumsdiskussion, die die Politische Akademie der Volkspartei zum Abschluß ihrer Eröffnungsfeierlichkeiten mit JoseJ Taus, Stephan Koren und vier weiteren für die christdemokratische Problematik „zuständigen“ ausländischen Gästen in der Wirtschaftsuniversität über die Bühne brachte, bemerkenswerte Bezugspunkte zutage.

Kernpunkt der theoretischen Aus einandersetzung war immer wieder das von Marxismus und Christentum jeweils recht unterschiedlich gezeichnete Menschenbild: Während im Marxismus der Mensch nicht mehr darstellt als den Schnittpunkt verschiedener sozialer Beziehungen, wird im Christentum Jedes Wesen einzeln durch seinen Schöpfer angesprochen“, was ihm nach Meinung des Münchner Universitätspräsidenten Professor Nikolaus Lobkowicz seine unvergleichliche und unersetzliche Individualität verleiht.

Auch der Vorsitzende der CDU- Grundsatzkommision, Richard von Weizsäcker, hält den hervorragenden Stellenwert des Einzelmenschen im Christentum für ein wesentliches Charakteristikum, das unverwischbare Kontraste zu anderen weltanschaulichen Ideen darstellt Im Marxismus beispielsweise ist der Mensch das Objekt der wirtschaftlichen Verhältnisse:

„Nicht die Gesellschaft ist für den Menschen da, der Mensch ist für die Gesellschaft da!“

Aus der christlichen Lehre lassen sich also keine unmittelbaren Imperative für die Wirtschaftsordnung ableiten. Dennoch: Das individualistische Menschenbild, sehr stark auch das Gebot der christlichen Nächstenliebe (Solidarität) und zahlreiche andere Komponenten stellen einen Rahmen dar, der bestimmte Wirtschaftssysteme favorisiert, andere aber mit sich selbst kaum auf einen Nenner bringen läßt.

Der Weg hin zur sozialen Marktwirtschaft (wobei eingeräumt sei, daß der Grundtypus Marktwirtschaft natürlich mehr oder weniger sozial sein kann), läßt sich also ohne größere Umwege leicht verfolgen. Exklusivrechte auf die soziale Marktwirtschaft kann das Christentum freilich nicht beanspruchen; aus anderen Modellen mag sie ebenso ableitbar sein, wie es ja auch denkmöglich ist, daß neben der sozialen Marktwirtschaft ein - derzeit wahrscheinlich nicht bekanntes - anderes Wirtschaftssystem noch existiert, das mit der christlichen Lehre genauso glaubhaft korrespondieren könnte wie eben die soziale Marktwirtschaft.

In seinem Diskussionsbeitrag entwickelte Taus denn auch eine „praktische Philosophie“: Pluralität und individuelle Autonomie entsprechen „unserem Menschenbild am besten“. Auch der Vorstellung einer möglichst weitgehenden Streuung von Bildung, Besitz und Macht könne nur das „grundsätzlich marktwirtschaftliche System“ entsprechen.

Warum er aus seiner zweifellos christlich geprägten Überzeugung heraus für das marktwirtschaftliche System eintritt, stellt der Parteichef so dar: Als einzige bisher bekannte Wirtschaftsordnung verhindere es Macht- zusammenballungen, es sei im Betrieb einfach und leicht zu handhaben, stelle eine Chance zur Selbstbestimmung dar und ermögliche schließlich einen wesentlich flexibleren Innovationsprozeß als etwa stark zentral verwaltungswirtschaftlich orientierte Systeme.

Die Theorie von der „sozialen Ungerechtigkeit der Marktwirtschaft“ bezeichnet Taus als falsch und logisch nicht haltbar: Gerade in diesem System sei es viel leichter, soziale Gerechtigkeit zu erzielen, als in anderen. Nur ein produktives System kann ein hohes Maß an sozialer Sicherheit garantieren, meint Taus. Dann rührt er an zwei wunden Stellen der traditionellen ÖVP-Wirtschaftspolitik: Er spricht von der zentralen Planung der öffentlichen Haushalte und verlangt nach einer „neuen Definition des Gemeinwohls“.

Als „agent provocateur“ setzte sich schließlich Lobkowicz in Szene, indem er meinte, manche Christen neigten dazu, zu meinen, sie verstünden etwas von der Wirtschaft. So zitiert er die christlich gut gemeinte Aufforderung, weniger zu konsumieren und dafür den Hungernden in der Dritten Welt zu helfen, was nur in Unkenntnis empirischer Tatsachen ausgesprochen werden könne.

Worauf Taus mit gekränkter Wirtschafterseele, aber lachendem Gesichtsausdruck repliziert: „Aber

Christ zu sein, bedeutet auch nicht a priori, wirtschaftlich blind zu sein…“

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