7087541-1994_19_01.jpg
Digital In Arbeit

Die Genossen kommen als Musterdemokraten wieder

Werbung
Werbung
Werbung

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, er darf also gehen. Übernommen hatte die nun abgewählte Christlich-nationale Koalition in Ungarn nicht nur eine Westverschuldung in der Höhe von 26 Milliarden Dollar, sondern auch Strukturen einer sagenhaften Korruption in Wirtschaft und Staatsverwaltung, mit deren Grals-hütem und Nutznießern sie ~ im Interesse der Regierbarkeit des Landes - einen Pakt geschlossen hatte. Ergebnis: Reichtum für die ohnehin Reichen und fortschreitende Verarmung für Mittellose.

Das Ausland, das den Magyaren für ihre Stabilität und Musterdemokratie stets hohe Anerkennung zollte, übersah, daß es sich im Grunde um die größte Schadensbegrenzung der Jahrtausendwende handelte. Nicht einmal zwölf Prozent der mehr als sieben Millionen Wähler haben sich am vergangenen Sonntag bei den Parlamentswahlen für das noch von Joz-sef Antall entworfene Stabilitätskonzept ausgesprochen.

Beim grandiosen Sieg der Sozialisten (32,5 Prozent Stimmenanteil für Gyula Horn) darf jedenfalls nicht aus den Augen verloren werden, daß sich bei ihnen seit kurzem Kräfte formieren, die sich nach vier Jahren diskreten Schweigens im Hintergrund nun stark genug fühlen, um die politische Bühne im Schatten integrer Demokraten zu betreten. Die Anziehungskraft der freige-

wordenen Fleischtöpfe war für hemmungslose Karrieristen viel zu groß, und da kann man schon gewiß davon ausgehen, daß der Alltagsbürger bereits gewohnt ist, einstige Genossen als Musterdemokraten zu erleben; dieses Kunststück ist ihm von den Regierenden oft genug vorgeführt worden. Ein paar Geschmacklosigkeiten mehr oder weniger, darauf dürfte und würde es wohl nicht ankommen, was zählt, ist Effektivität.

Denn - und das hat man dem Wahlvolk zu sagen vergessen - weder die Sozialisten noch die künftigen liberalen Koalitionspartner (SZDSZ) verfügen über qualifizierte Fachkräfte und sind folglich, wenn sie auch nur ein halbes Jahr im Amt bleiben wollen, genauso auf den Pakt mit der Schicht der Technokraten angewiesen, wie ihre Vorgänger.

Da wäre allerdings schon etwas mehr Aufrichtigkeit verlangt, über ein Drittel des Erbes, das die jetzige Koalition abzugeben hat, stammt noch aus der Zeit der kommunistischen Diktatur, nur der Rest ist christlich-nationale Unzulänglichkeit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung