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Lob des Dirndls

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Ein Ferientag, ein Sommertag auch für die Seele — und welches Kleid paßt dazu? „Heiter, ohne Schwere” soll es sein, denn es besteht kein Zweifel darüber, daß man seine Kleidung nicht nur nach äußerlichem Anlaß, sondern auch nach innerer Verfassung auswählt. Man verkleidet sich gerne ein bißchen, das heißt, man sucht seiner Laune das passende Kostüm. Gute Laune macht eine gute Haltung, und beides gehört zu einem Dirndl. Das Rückgrat dehnt sich, wenn man die Schürzenbänder straff um die Taille bindet, und dadurch nimmt der Busen, vom Dirndl liebevoll betont, die ihm gebührende Stelle ein. Der Rock ist locker um die Hüften und schwingend um die Beine — ein beschwingter Gang ergibt sich von selbst. Das Dirndl, duftig und handfest, fröhlich und seriös zugleich, steht jeder Frau: Urahne, Ahne, Mutter und Kind.

Aus Gexi Tostmanns Buch „Das Dirndl” erfahren wir die Geschichte und die erstaunliche Karriere dieses Kleidungs stük-kes. Ursprünglich war es das Arbeitsgewand der Bauernmägde, der Dirndln. Es konnte durch Hinzufügen oder Weglassen von Unterröcken und Blusen den verschiedenen Jahreszeiten und durch Ergänzen mit Schürzen und Tüchern festlichen Anlässen angepaßt werden. Es war das Arme-leutgewand und ist zu unterscheiden von der reichen bäuerlichen Festtagstracht.

Moden entstanden immer in der Stadt und beeinflußten die Kleidung der Landbevölkerung nur unerheblich. Wie aber kam das Dirndl zu den Städtern? Herrscher und große Herren waren oft Jäger, wie Karl der Große, Maximüian I., Erzherzog Johann und Kaiser Franz Josef. Die einfache ländliche Tracht, in Schnitt und Material dem Leben im Freien angepaßt, war die beste und bequemste Kleidung für ihre strapaziöse Liebhaberei. Wenn der Kaiser Lederhosen trägt, tut das Gefolge das gleiche. Und die Damen des Hofes passen sich an. Aber sie verzichten nicht ganz auf modische Details und kleine Spielereien der Phantasie. Sie nehmen sich die Freiheit, ihrer ländlichen Gewandung eine persönliche Note zu geben. Und diese Tendenz, aus der Tradition Themen mit Variationen zu komponieren, ohne das Leitmotiv und die Grundmelodie zu verlieren, hält das Dirndl frisch und jung und liebenswürdig.

Da es nun durch allerhöchste Gnaden gesellschaftsfähig geworden war, wurde es zur obligaten Kleidung der eleganten Welt in der Sommerfrische. Das Salzkammergut gut j a als seine Wiege, wo sich sein Aufstieg von der Arbeits- zur Freizeitkleidung vollzog.

Mit dem Zusammenbruch der Monarchie und ihrer Lebensart wäre es vielleicht wieder an den Ort seiner ärmlichen Herkunft zurückgekehrt, hätte sich ihm nicht ein neuer Weg eröffnet. Die Künstler, die sich zur Gründung der Salzburger Festspiele 1920 zusammenfanden, zeigten durchwegs eine Vorliebe für den ländlichen Kleidungsstil. Ihr Beispiel machte Mode, und aus der Mode wurde wieder Tradition. Das Dirndl befand sich also wieder auf der noblen Bühne der Welt, sehr weit entfernt von seinem Ausgangspunkt, und wäre vielleicht in Erstarrung geraten, hätte sich nicht seine nächste Erneuerung ganz aus dem Ursprung vollzogen.

Gexi Tostmann, die die Geschichte des Dirndls anhand ihrer eigenen Familiengeschichte illustriert, erzählt, wie ihre Mutter in der ersten Nachkriegszeit aus schleißigem Bettzeug und allerlei Resten für ihre beiden Töchter Kleider näht. Das Dirndl, aus verschiedenen Stoffen für Rock, Leibchen, Bluse und Schürze zusammengesetzt, bietet sich dafür besonders an. Die Mutter der Autorin entsinnt sich ihrer Fertigkeit des Webens und nimmt nach der großen Zerstörung im wahrsten Sinn des Wortes den Faden wieder auf.

Der Faden, immer als Lebensund Schicksalsfaden gedacht, führt in die mythischen Anfänge des Matriachats. Die Gewandweberei war bei allen Kulturvölkern und ist heute noch bei den Primitiven eine kultische Handlung, ein von Frauen gehütetes Geheimnis und jedenfalls eine weibliche Erfindung. In den Mythen von Westeuropa bis Ostasien spielt die Weberin eine Rolle, und viele Geschichten erzählen, daß sie in der Nacht auftrennt, was sie am Tag gewebt hat, damit dem Gewebe die Frische erhalten bleibe.

Die Frische ist eines der wesentlichen Merkmale des Dirndls, seiner Jugendlichkeit trotz alter Tradition. Es ist weder jemals modern noch unmodern, doch es erneuert sich von Zeit zu Zeit aus immer anderen Quellen. Der alternativen Kleidung der heutigen Jungen steht es sehr nahe, unterscheidet sich von ihr aber dadurch, daß es immer frisch gewaschen und gebügelt zu sein hat. Denn die Frische ist, wie gesagt, sein Wesensmerkmal, durch das es zwischen der museal erstarrten, streng reglementierten Tracht und der ewig wechselnden Mode von Generation zu Generation sein unangefochtenes Dasein führt.

DAS DIRNDL. Von Gexi Tostmann. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1985, 70 Seiten, geb., öS 228,-.

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