6858613-1977_26_04.jpg
Digital In Arbeit

Radikalismus auf Samtpfoten

Werbung
Werbung
Werbung

Er bekenne sich zum Reformismus in Politik und Wirtschaft und trete dafür ein, daß gesellschaftliche Veränderungen nicht durch Revolution, sondern im Wege von Reformen realisiert werden. Er sei sich aber gleichzeitig bewußt, daß auch die demokratische Gesellschaft eines hohen Masses an Radikalismus bedürfe, weü sonst jene Bewußtseinsänderungen nicht herbeigeführt werden können, die notwendig sind, um Reformbereitschaft bei der großen Mehrheit der Bevölkerung zu wecken.

Das gesellschaftliche Sein werde vom Bewußtsein bestimmt, und Kulturpolitik müsse daher dem Kulturradikalismus Platz einräumen, weil das für die Bewußtseinsbildung von entscheidender Bedeutung sei. Im kulturellen Bereich bestehe aber gegenwärtig noch ein gewaltiges Defizit der Politik.

Es sei daher ein Fehler gewesen, für die „Arena-Bewegung“ des Vorsommers, die eine Willensäußerung der jugendlichen Subkultur war, nicht genügend nach Lösungen gesucht zu haben, „Die Gesellschaft wäre gut beraten, würde sie derartigen Entwicklungen Raum geben.“

Diese Glossen zur Kulturpolitik stammen von niemandem anderen als von Bruno Kreisky, der diese Thesen bei den „Kulturkontakten 77“ in Graz proklamierte. Was daran auffallt, ist zum einen das konzessionslose Bekenntnis zur Politisierung der Kultur, zum anderen der Wunsch nach Radikalisierung der öffentlichen Meinung

- beides Konzepte, welche so gar nicht zum Image Kreiskys als des gemäßigten und „liberalen“ Sozialisten passen wollen.

Dennoch ist der Bundeskanzler durchaus konsequent: Er lehnt zwar die Revolution ab und will keine Reformen, welche den Durchschnittsbürger verschrecken könnten. Das heißt aber’nicht, daß er radikale Reformen überhaupt nicht will, sondern nur, daß er sie psychologisch vorbereitet sehen möchte, daß er die öffentliche Meinung so präpariert wünscht, daß dieser ein immer radikalerer Sozialismus als durchaus erstrebenswert erscheint.

Kreisky bewegt sich damit auf der gleichen Linie wie diverse gemäßigte Programmatiker der SPÖ, wie beispielsweise Fritz Klenner oder Egon Matzner. Wer deren Bücher genau liest, wird nicht übersehen, daß die Mäßigung nur Emballage ist, in der sehr radikale Substanzen verpackt sind.

Die Zielsetzungen bleiben auch beim gemäßigtesten Sozialismus radikal, nur die Methoden werden modifiziert. Sozialismus soll nicht oktroyiert, sondern suggeriert werden: Die öffentliche Meinung soll so lange manipuliert werden, bis die Bevölkerung radikale und immer radikalere Maßnahmen bejaht.

In diesem Konzept hat die Kultur eine fixe Position: Sie ist kein Selbst zweck, sondern hat sich, wenn sie vom Sozialismus als Kultur respektiert werden will, voll und ganz in den Dienst der Politik zu stellen. Kunst sei, so formulierte es Unterrichtsminister Fred Sinowatz, ein „ästhetisch strukturierter Kommunikationsvorgang, bei dem in lustbetonter Weise menschliches Selbstbewußtsein vermittelt wird“.

Zweck von Kunst und Kultur ist auf Grund des sozialistischen Konzepts also nicht das Kunstwerk selbst oder eine dadurch initiierte moralische Höherentwicklung des Menschen, sondern die Bewußtseinsveränderung in Richtung auf ein immer radikaleres sozialistisches System. Alles, was diesem Zweck dient, ist a priori als Kultur legitimiert.

In einem solchen Konzept hat die sogenannte „Hochkultur“ ebenso ihren Platz wie die „Subkultur“ und die „Trivialkultur“. So ist es möglich, daß Kreisky in der gleichen Rede eine radikale Kulturpolitik fordern, gleichzeitig aber erklären kann, er bekenne sich auch zum Traditionellen.

Beides hat nämlich seine Funktion im sozialistischen Kulturkonzept. Während nämlich der Avantgardis- mus direkt in den Dienst der revolutionären Mobilisierung gestellt wird, hat das Placet für Hochkultur und kulturelle Tradition den Zweck, den Sozialismus gleichzeitig auch für revolutionär nicht Motivierbare akzeptabel zu machen.

Darüber hinaus hat in einem derartigen Kulturprogramm auch noch die „Trivialkultur“ ihren Platz. Diesen Titel erwerben die „populären“ Produkte allerdings nur dann, wenn sie dem Sozialismus zur Disposition stehen. Sonst heißen sie Kitsch oder Schund.

Sozialistisches Engagement läßt nicht nur die Hochkultur- und speziell Karajan-Beschimpfung vort Sinowatz’ „Kultur“-Berater Fritz Herrmann zur Kultur werden, sondern auch das von seiner Gattin edierte, stark pornographisch aufgemöbelte „Wiener Wochenblatt“, welches sich eines reichen Subventionssegens aus dem ministeriellen Kulturbudget erfreut. Sobald mit der Pornographie auch noch sozialistische Ideologie mitserviert wird, ist sie förderungswürdige Kultur.

Auf nichtsozialistischer Seite, speziell in gewissen liberalen Zirkeln, aber bedauerlicherweise auch im christlichen Ambiente steht man dieser Inhalation der Kultur durch den Sozialismus weitgehend apathisch gegenüber, ja viele Personen und Gruppen glauben, derartiges noch fördern zu müssen, um auf diese Weise ihre In- tellektualität und Progressivität zu demonstrieren. Es wäre aber höchste Zeit, daß die Kunst- und Kulturpolitik der Sozialisten etwas kritischer betrachtet und ihr echte Alternativen entgegengestellt würden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung