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Verfälschungen der Geschichte (II)

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Da der Antisemitismus als Geisteshaltung das Hauptmerkmal der nationalsozialistischen Bewegung war, liegt es im Zusammenhang mit der ersten These (FURCHE 29/1993) vom österreichischen Antisemitismus als Vorläufer und Zuarbeiter des Hitlerschen, aber auch ohne diesen Zusammenhang, nahe, die große Masse der Österreicher als Nationalsozialisten zu verunglimpfen, die Handlangerrolle Österreichs und der Österreicher beim „Anschluß” und nach ihm überzubetonen und den Beitrag des österreichischen Widerstandes, der nicht in dieses negative Bild paßt, herunterzuspielen.

Eine Stimme dieser Art ist die des österreichischen Historikers Günter Bischof, der mit seiner These, daß wir Österreicher „Opfer einer Opferideologie” geworden seien, in der FURCHE 11/ 1993 zu Wort gekommen ist, dem aber zum Glück von Felix Butschek und anderen widersprochen wurde (Nr. 17/1993).

Wenn man die Präsentation einer nicht auf Bischof beschränkten These näher untersucht, fällt schon die methodische Unsauberkeit der Argumentation auf. So wird aus der Tatsache, daß die Okkupations- und die ihr zugeordnete Öpfertheorie instrumentalisiert wurde, um die österreichische Mitschuld am „Anschluß” und am Hitler-Krieg zu verdrängen, geschlossen, daß diese Theorie in der Substanz falsch und unhistorisch ist. In Wirklichkeit aber vermag eine

Dienstbarmachung einer Theorie für gewisse Zwecke, die sekundär hinzutretende Funktionalität, den Wahrheitsgehalt einer Aussage ebensowenig aufzuheben, wie ein fragwürdiges Motiv eine an sich richtige Aussage zu einer unrichtigen machen kann.

In der Sache selbst aber besteht kein Zweifel, daß die Formel der Moskauer Deklaration, die auch in den österreichischen Staatsvertrag Eingang gefunden hat, daß nämlich Österreich das erste Opfer Hitlers war, den historischen Tatsachen und der Logik der historischen Abfolge entspricht.

Deshalb wäre auch ein militärischer österreichischer Widerstand 1938 keineswegs sinnlos gewesen, auch wenn Österreich an Ort und Stelle den kürzeren gezogen hätte, weil damit den Anfängen gewehrt worden wäre und nicht nur die österreichische Geschichte, sondern wahrscheinlich auch die ganze Weltgeschichte einen anderen Verlauf genommen hätte.

Die These von Österreich als dem ersten Opfer Hitlers ist keine Gefälligkeitsversion und keine Fiktion oder Lüge, allerdings - hierin ist den Kritikern recht zu geben - nicht die ganze Wahrheit. Doch auch die gleichzeitig zu bedenkende Wahrheit, daß viele Österreicher als Individuen mitschuldig geworden sind, vermag die Wahrheit der Feststellung, daß Österreich als Staat das erste Opfer Hitlers geworden war, nicht aufzuheben.

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