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Österreich - Verbündeter des Deutschen Reiches?

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Hat sich Österreich eine Opferrolle angedichtet, um vor der Nachwelt gut dazustehen? Eine Analyse des Zeitgeschichtlers Günter Bischof (FURCHE 11/ 1993) hat enormen Widerspruch hervorgerufen.

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Hat sich Österreich eine Opferrolle angedichtet, um vor der Nachwelt gut dazustehen? Eine Analyse des Zeitgeschichtlers Günter Bischof (FURCHE 11/ 1993) hat enormen Widerspruch hervorgerufen.

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Bereits seit einiger Zeit bemühe ich mich, die mir schon aus mündlichen Diskussionsbeiträgen bekannten Gedankengänge des Kollegen Günter Bischof nachzuvollziehen. Da ich damit bisher große Schwierigkeiten hatte, ist es zu begrüßen, daß er sie nunmehr schriftlich dargelegt hat, weil diese Form eine präzise Analyse seiner Gedanken erlaubt. Freilich gestehe ich gleich eingangs, daß ich in der Absicht des Nachvollzugs nunmehr endgültig gescheitert bin.

Die zentrale Aussage Bischofs ist, daß Österreich kein Opfer der Angriffspolitik Hitlers gewesen wäre, wie das die „Moskauer Deklaration" festgehalten hat. Eine erstaunliche Feststellung, wenn man die Jahre andauernde aggressive Politik Deutschlands gegenüber Österreich seit der nationalsozialistischen Machtergreifung bedenkt, die zu einem Putsch mit Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers, zu schweren wirtschaftlichen Repressionen (1.000 Mark-Sperre) und letztlich zur militärischen Okkupation führte, um die von Bundeskanzler Schuschnigg initiierte Volksabstimmung zu verhindern. Bischof meint, daß sie keine „typische Hitler'sche Angriffspolitik" mit Bombardierung, Erschießung von Zivilisten und so weiter gewesen sei. Nun, welche Bomben fielen 1938 anläßlich der Besetzung des Sudetenlandes, welche Schlachten wurden im März 1939 anläßlich der Okkupation der Resttschechoslowakei geliefert?

Weiters habe Österreich, so Bischof, die Moskauer Deklaration, ein „Propagandainstrument" der Alliierten, benützt, um sich von der „Aufarbeitung seiner Geschichte zu drük-ken"! Da scheint nun alles durchein-anderzugeraten.

Erstens war eine „Aufarbeitung" oder „Bewältigung" der Vergangenheit im Stile der achtziger Jahre gewiß die geringste Sorge der damaligen Bundesregierung. Ihr mußte es in erster Linie um die Wiederherstellung der nationalen Souveränität gehen. Denn die „Moskauer Deklaration" war - durchaus im Sinne Bischofs - inkonsequent geblieben: sie bezeichnete Österreich zwar als „erstes Opfer" Hitlers, bürdete ihm aber für die „Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung" auf. Es ist ja wohl selbstverständlich, daß die Bundesregierung das Schwergewicht ihrer Argumentation auf den völkerrechtlichen Tatbestand konzentrierte.

Wie und vor welchem Hintergrund zweitens die „Moskauer Deklaration"

das Licht der Welt erblickt hatte, war und ist sowohl für Österreich, wie auch für die internationale Staatengemeinschaft vollkommen irrelevant. Das mag amerikanische Historiker interessieren, blieb aber für die damals politisch Tätigen ohne irgendwelche Bedeutung, schon gar, weil damals niemand über ihr Zustandekommen etwas wußte.

Daß Österreich den Alliierten ihr eigenes „Propagandainstrument" als ihre politische Absichtserklärung eingeredet haben sollte, nähert sich schon den Gefilden des Humors.

Ein ganz anderes Problem ist das von Bischof immer wieder berufene Verhalten der österreichischen Bevölkerung nach dem „Anschluß" und im Kriege. Es steht ja nicht in Frage, daß viele Österreicher begeisterte Anhänger des Nationalsozialismus und - das vergißt Bischof zu erwähnen - besonders rabiate Antisemiten waren. Aber das hat mit der völkerrechtlichen Situation Österreichs wie auch mit den außenpolitischen Ereignissen bis 1938 nichts zu tun.

Freilich gewinnt man in den Ausführungen Bischofs, wie auch bei anderen Zeithistorikern oft den Eindruck, fast alle Österreicher seien Nazis gewesen, obwohl fast alle Quellen, einschließlich der deutschen Polizeiberichte darauf hinweisen, daß rund ein Drittel der Österreicher dieser Ideologie mehr oder weniger aktiv anhingen. Viele Zeithistoriker lieben es, sich sozusagen der offiziellen national sozialistischenPropagandafotos zu bedienen und den vollen Heldenplatz von der Hofburg aus zu zeigen; allein Portisch demonstriert vom Heldentor aus die beträchtliche Leere und erinnert an mehr oder minder freiwillige Bustransporte vieler Betriebe.

Zum Abschluß noch etwas Grundsätzliches: selbstverständlich ist es Aufgabe jedes Sozialwissenschaftlers, gängige Hypothesen über historische Abläufe immer wieder in Frage zu stellen und neu zu überdenken. An diese Aufgabe sollte er jedoch, soweit dies menschenmöglich ist, vorurteilsfrei herangehen. Intellektuelle Moden müßten vor den Toren der Hohen Schulen Halt machen - in den letzten Jahren hat man jedoch ganz und gar nicht diesen Eindruck!

Der Autor ist stellvertretender Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) in Wien.

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