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Das Leben bewältigen im Denken

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PHILOSOPHIE IM 20. JAHRHUNDERT. Von Bernard Delfgaauw. Aus dem Holländischen übersetzt von Heinz Graef. Herder-Bücherei. Freiburg im Breisgau, 1966, 154 Seiten. DM 2.80.

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PHILOSOPHIE IM 20. JAHRHUNDERT. Von Bernard Delfgaauw. Aus dem Holländischen übersetzt von Heinz Graef. Herder-Bücherei. Freiburg im Breisgau, 1966, 154 Seiten. DM 2.80.

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Um einen brauchbaren u Der DUCK zu schreiben, erfordert jedes Gebiet eine vorzügliche Hand. Insbesondere gilt dies für philosophische Zusammenfassungen, die andernfalls durch die unumgängliche Kürze strohtrocken und ungenießbar werden. Schon beim Schmökern in des holländischen Universitätslehrers leichtgewichtiger „Philosophie im 20. Jahrhundert“, die, vor einem Jährzehnt entstanden, nun in der Übersetzung erschienen ist, merkt man es, daß hier der Idealfall vorliegt. Es ist gewiß nicht nötig, daß Bücher philosophischen Inhalts die Menge ansprechen, aber es ist entschieden zu loben, wenn man durch eine faßliche Darstellung und durch eine der Umgangssprache nahen Ausdrucksweise dem — nennen wir es ruhig — schöpferischen Snobismus weiter Laienkreise, die sich für Philosophie interessieren, entgegenkommt, wie hier geschehen ist. Taschenbücher, gleichgültig welchen Inhalts, werden nicht für Fachleute allein gedruckt. Auch ist es immerhin ein Weg zu echter Bildung, wenn man zum Beispiel, nachdem man ein Modewort, etwa Existentialismus, lange genug gebraucht hat und endlich neugierig ist, was es bedeutet, nach so einem Buch greift, um es zu erfahren. Jede billige Popularisierung vermeidend und auch keineswegs vor dem Gebrauch der dem heutigen Philosophieren nun einmal angemessenen sprachlichen Engführungen zurückschrek- kend, enttäuscht es dennoch ganz gewiß den Leser nicht, der ernstlich wissen will. Vielleicht stellt sich sogar dabei heraus, daß, entgegen gewöhnlicher Annahme, der heutige Mensch der Technik auch ein philosophischer Mensch ist, wie ja auch die Philosophie sich heute immer bewußter als eine Technik sieht, eine Technik, das Leben zu bewältigen durch Gedanken und in Gedanken.

Es ist ganz natürlich, daß der Verfasser dem sichtbaren Teil des Eisberges Philosophie seine Hauptarbeit, 14 von insgesamt 20 Kapiteln,

widmet. Die Tiefe der Hintergründe, auf denen dieses Sichtbare sich erhält, ist freilich aus der Beschreibung der Einzelphilosophien zu ermessen.

Da ist zunächst der historische Hintergrund, wo die aus dem Boden europäischer Geistigkeit genährten Wurzeln, Darwin und Marx, der Zeit ihre Grundprobleme zuführen: die Technik, den Materialismus und die soziale Situation. Der westliche Mensch, anstatt die Welt nur zu betrachten, macht sich daran, sie zu verändern. Da kommt, von neuen Entdeckungen auf allen Gebieten hervorgerufen, die große Wendung, die Kehre, kommt die Notwendigkeit des Neubeginns. Das ist der aktuelle Hintergrund, wo alles ein neues Gesicht bekommt, auch die Religion — die doch nur keineswegs so erledigt zu sein scheint, wie man dachte — und die Philosophie, die in der Unsicherheit des noch unausgegorenen Zustandes Bindung an das Alte sucht. Die großen Gedanken der Philosophen werden noch einmal zu denken versucht. Neuthomismus und Neukantianismus eröffnen den Reigen der Erneuerung früherer Philosophien. Man stellt sie dem als unzureichend erkannten, aber überall überhandnehmenden Materialismus sowie dem Positivismus entgegen. Ein gleiches versucht mit erneuerten idealistischen Gedankengängen der Neuhegelianismus. Für eine eigene Philosophie fehlt die Kraft. Der heraufkommende Arbeiterstand stützt sich auf Marx und denkt dessen Gedanken zu Ende im Marxismus. Aber schon kommen, aus anderen Wurzeln gespeist, da und dort, wenig wirksam zuerst, aber immer mehr an Bedeutung gewinnend, andere Philosophien auf, die, nicht traditionsgebunden, bis heute fortwirken: Der Pragmatismus, der Spiritualismus, Personalismus, Existenzialismus, Neurealismus, die ganze Skala der unmittelbar von der Gegenwart genährten neuen Gedanken.

Kostbarkeiten für den, der sie zu genießen lernt. Nur die Glanzlichter freilich sind es auf den Gemälden, die die Philosophen schufen, was hier gesammelt steht. Aber in den extremen Verkürzungen bekommen manche der aufgezeigten Strukturen eindrucksvolle Prägnanz. So Diltheys Unterscheidung von Verstandes-, Willens- und Gefühlsmenschen, so Klages Gegenüberstellung von Geist als Stillstand und Leben als Bewegung, so auch Bergsons Scheidungen von intelligence und intuition, von temps und durėe, räumlich ausgedehnter Zeit und bewußter stillstehender Dauer.

Das Namensregister, übrigens nur für die Hauptteile angelegt, läßt natürlich viele Namen vermissen, wie Weininger, oder Alain, oder Ferdinand Ebner, dessen Schriften freilich jetzt erst erschienen sind. Ein Taschenbuch, wie es sein soll.

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