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„Operismus

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„Operismus“ betitelt der bekannte Zisterzienserabt Dr. Alois Wiesinger sein soeben im Oberösterreichischen Landesverlag in Linz erschienenes, 248 Seiten starkes Buch. Es will eine „Darlegung der Grundsätze des Christentums zur sozialen Frage" sein. Offensichtlich gab den Leitgedanken hiezu die Vogelsang-Schule, vor allem das „Katholisch-soziale Manifest" der Orel-Runde aus dem Jahre 1932. Ausschließlich in ihren Fragen und Lösungen bewegt sich auch das Buch. Nach wie vor ist sozialtheoretischer Ansatz das „opus“, die „Arbeit“ des Menschen — als einziges Maß wirtschaftlicher Kalkulation. Daher auch der Name „Operis- mus“, ein eindeutiges wie einseitiges Bekenntnis, eine schon in der Bezeichnung sich ausdrückende Antithese zum „Kapitalismus“. Hier sieht auch der Verfasser seine Brücke zur sozialistischen Arbeiterschaft. Bewußt betrachtet er sein Buch als ein dem Kommunistischen Manifest Karl Marxens analoges, was in einer gleichzeitig mit dem Buch im gleichen Verlag erschienenen Broschüre demonstrativ zum Ausdruck kommt: „1848— 1948. Arbeiter der Faust und der Stirne vereinigt euch! Ein Aufruf an die Arbeiter der Welt von Abt Alois Wiesinger.“

Zunächst ist für die religions- und wissenssoziologische Forschung das Buch experimentell überaus lehrreich. War nämlich der „Solidarismus“ des P. Heinrich Pesch S. J. (f 1926) vor 50 Jahren eine Brücke zum mächtigen, kirchenfremden Bürgertum, ein Ausgleich zwischen Evangelium und klassischer Nationalökonomie, beziehungsweise dem Kapitalismus, nachdem Karl von Vogelsang (t 1890) vorher diese Brücke infolge seiner feudalistischen Interpretation des kirchlichen Sozialgedankens nicht fand, ist nun der „Operismus" des Abtes Wiesinger methodisch dasselbe. Auch der „Operismus“ ist ein Brücke, jetzt aber eine Brücke zur mittlerweile mächtig gewordenen, noch vielfach kirchenfremden Arbeiterschaft, in Ausgleich zwischen Evangelium und marxistischer Dialektik, beziehungsweise dem Sozialismus. Als Ausgleichsmoment des Verfassers fungiert aber nicht mehr wie im Solidarismus die spätscholastische Kapitals- und Zinstheorie, welche Kapital, Zins, arbeitsloses Einkommen rechtfertigt, sondern die Arbeitswerttheorie, welche vor Marx zwar nicht die Kirche, wie Abt Wiesinger annimmt, wohl aber einige Theologen bereits verfochten hatten. Die Kirche selbst hat weder eine Kapitals-noch ine Arbeitswerttheorie, weder eine Geld- noch eine Zinstheorie aufgestellt, weil Christus eine religiöse Gemeinschaft, die Kirche, nicht aber daneben eine nationalökonomische Schule gründen wollte, wie der katholische Integralismus dennoch zu glauben scheint. Wohl aber stimmt Quadragesimo anno der erprobten Meinung jener Moralisten und Ökonomisten zu, welche weder dem „Kapital" noch der „Arbeit" eine Alleinursächlichkeit im wirtschaftlichen Güterprozeß zusdhreiben. Folglich verurteilt sie — siehe die Gundlach-Ausgabe der Quadragesimo anno n. 53 — ausdrücklich jene Ansichten, welche die Arbeit als einziges Maß der Tauschäquivalenz im entgeltlichen Wirtschaftsverkehr betrachten! Noch so gute und wertvolle Gedanken des um die Kirche hochverdienten Verfassers werden aber gerade dadurch um die von allen gewünschte Wirkung gebracht, wenn er im offenbaren Gegen satz zur Quadragesimo anno die Alleinursächlichkeit der Arbeit, die „sola-industria"- Lehre, behauptet.

Notwendig beinhaltet dieser einseitige „Operismus“ auch die anderen Kardinalfehler der Vogelsang-Schule. Mit ihr stößt zum Beispiel Abt Wiesinger gegen jene „Kollegen der Moralwissenschaft" vor, die, „treu" dem Kapitalismus, „auch heute noch den heidnisch-römischen Rechtsbegriff des absoluten Eigentums verteidigen" (202, 204)! Diese Vorstöße gegen „Kollegen" konnten vor Quadragesimo anno mit Unkenntnis entschuldigt werden; aber 17 Jahre nach Quadragesimo anno sind sie deswegen ärgerniserregend, weil bekanntlich das Rundschreiben (n. 46) die schärfsten Worte findet „gegen jene umstürzlerischen Geister, die ohne Scham der Kirche Schimpf antun durch die verleumderische Anklage, sie habe in die Lehre ihrer Theologen einen angeblich heidnischen Eigentumsbegriff sich einschleichen lassen, der durch inen anderen zu setzen sei, dem sie in bemerkenswerter Unwissenheit die Bezeichnung .christlich beilegen“.

Nun hat aber nach Abt Wiesinger die ‘„Moraltheologie nicht nur in diesen Be- larfgen „das Recht verdreht" (204). „Die Stellungnahme, die im letzten Jahrhundert bis jetzt sowohl die kirchliche Wissenschaft wie die Praxis eingenommen hat, ist gänzlich verfehlt" (204) — vor allem in der Zinsfrage, lehrt Abt Wiesinger. Und auch hier wiederholt der Verfasser die Thesen der Vogelsang-Schule. Mit ihr behauptet er, daß die Kirche auf Grund des Naturrechtes Zins und arbeitsloses Einkommen zwar verbiete, sie aber im „Widerspruch“ dazu, im Zins kanon (CIC § 1543), einer „wirtschaftlich bedingten Duldung eines Mehrbezuges“ das Wort rede (87). Ist aber dieser „Mehrbezug“ Unrecht, und Abt Wiesinger behauptet dies, dann beinhaltet diese Kommentierung des Zinskanons eine ungeheuerliche Anklage gegen die Kirche. Aber auch diese Anklage ist bloß eine Wiederholung. Im Hinblick auf die seit 1830 sechsmal erfolgten Erklärungen der Kirche, Zins nehmen zu dürfen, „entschuldigte“ in seiner „Zins und Wucher“-Broschüre 1884 Vogelsang die Kirche damit, daß sie „in mütterlicher Milde die praktische Applikation vieler ihrer Prinzipien momentan fast bis zu Symbolen verdünnt habe“. Wir verstehen die Antwort Lehmkuhls S. J. darauf: „Wenn das wahr ist, dann sieht es traurig um die Heiligkeit der Kirche aus Soll sie an einer solchen verdünnten Moral festhalten, die Gläubigen einlullen in den Wahn, eine mäßige Zinsforderung verstoße nicht gegen die ausgleichende Gerechtigkeit, während sie in Wirklichkeit nur dem Diebstahl gleichzusetzen wäre?"

Dasselbe ist Abt Wiesinger entgegenzu-, halten. Aber dahin muß jener „Operismus“ kommen, der soziale Lehrmeinungen zu Glaubenssätzen erhebt und die zinslose Wirtschaft als „das" Sozialideal der Kirche pro-, klamiert. Weil Abt Wiesinger dies tut, weil er das Zinsverbot als Dogma der Kirche unterschiebt, gerät er notwendig in jene durchaus logische wie tragische Situation, die Kirche in einem Atemzug als Hort eines überspannt „operistischen“ Sozialideals erhöhen und als „wirtschaftlich bedingte“ Dulderin eines glatten Unrechts erniedrigen zu müssen.

Diese „wirtschaftlich bedingte“ Moral der Kirche wird vom Verfasser obendrein noch von einer Zinsrechtfertigungstheorie gestützt, welche — vor 20 Jahren in der „Schöneren Zukunft“ erstmalig entwickelt —, folgendes besagt: Ist einmal ein Katholik glücklicher Zinsnehmer, soll er es sein. Denn dieser Zins, zwar an sich ein Diebstahl, weil ungerecht, ist diesfalls grundsätzlich Entschädigung für Schäden, die jeder Katholik im Kapitalismus erleide. Mit anderen Worten: Der Bewucherte hätte das Recht, durch eigenen Wucher an Dritten sich schadlos zu halten. Dagegen nahmen schon vor 20 Jahren die führenden Moralisten, allen voran Biederlack S. J., selbstverständlich Stellung. Im übrigen hat Quadragesimo anno (n. 53, 57) die sittliche Berechtigung von Zins an sich überall da ausgesprochen, wo vom Rechtstitel auf Bezug von Einkommen aus Eigentum allein die Rede ist, und infolge davon die sehr problematische Zinsrechtfertigung des Verfassers sich erübrigt.

Beschluß: Das Buch beinhaltet Vogelsang- sches Erbgut, und ist in den Zielsetzungen teils veraltert, teils vielleicht noch lesenswert. Die Methode aber ist unhaltbar. Die Kirche geht mit keiner bestimmten Sozialordnung schwanger. Das sollte endlich einmal eingesehen werden. Die Kirdie verträgt sich im Rahmen ihres Sittengesetzes mit allen Ordnungen. Diese aber sind aus der Kirche nicht deduzierbar; auch der „Operismus“ nicht.

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