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Thomas und die „Moderne“

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Die tragische Schuld der Spät- und Neuscholastik. Von Anton S tri gl. Verlag Heiler, Wien. 105 Seiten. Preis 19.50 S

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Die tragische Schuld der Spät- und Neuscholastik. Von Anton S tri gl. Verlag Heiler, Wien. 105 Seiten. Preis 19.50 S

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Der Verfasser bringt in dieser Schrift ein Anliegen vor, das ernst genommen zu werden verdient. Es wäre zu billig und gefährlich, es totzuschweigen. Gewiß, man braucht nicht mit allen Behauptungen und Anschuldigungen dieser philosophischen Kapuzinerpredigt einverstanden sein. Der Verfasser spricht von einer trägischen Schuld der Spät- und Neuscholastik. Dazu wäre der Begriff der- Spät- und Neuscholastik doch schärfer historisch und systematisch abzugrenzen. Denn diese Periode christlichen Philosophierens ausschließlich aus dem Gesichtspunkt seiner Abweichung von der Lehre und Methode des hl. Thomas von Aquin zu definieren, ist nicht ganz zureichend. Dies wirft in jedem einzelnen Fall die Streitfrage nach dem Grad dieser Abweichung bzw. nach deren Rechtfertigung durch sachliche Argumente auf. Ich weiß schon, was der Verfasser will. Er will im Anschluß an die wiederholten feierlichen Kundgebungen der Päpste, die ausgiebig ins Treffen geführt werden, keineswegs eine sinnlose Repristi-nation, sondern eine zeitgemäße Erneuerung der Theologie und Philosophie aus dem Geiste des heiligen Thomas. Er weist auf die Erstarrung der heutigen Schultheologie und Philosophie hin, er weist darauf hin, daß diese Schulphilosophie den heutigen Menschen nicht mehr anspricht, weil sie ihn mit ihrer Denksprache nicht erreicht. So stehen sich Thomas und die „Moderne“ fremd gegenüber. Der

Verfasser will zeigen, daß die unverfälschte Lehre des hl. Thomas dem heutigen Menschen nähersteht, ihm mehr zu sagen hätte als die abgesunkenen Lehrprodukte der Epigonen. Er zeigt dies besonders an zwei Beispielen: An der Lehre des hl. Thomas über die Willensfreiheit und an dessen „Problemmethode“, die spätscholastisch in eine „Thesenmethode“ umgewandelt worden sei. In beiden Fällen scheint mir die Argumentation triftig und überzeugend. Mir scheint allerdings die Rückkehr zum Geist des hl. Thomas darin bestehen zu müssen, daß der christliche Denker auch heute den Mut des hl. Thomas aufbringen müsse, einen noch unbe-schrittenen Weg zu gehen. Es muß auch ihm möglich sein, die Entwicklung neuzeitlichen Denkens von Descartes an, die doch keineswegs einfach des Teufels ist, zu berücksichtigen und sich mit der transzendental-idealistischen und existentialistischen Denkbewegung wie auch mit den positivistischen jind logistischen Positionen schöpferisch auseinanderzusetzen. Man darf sich nichts da ersparen, da uns Christen sonst nichts erspart bleiben wird, sobald wir dem Anspruch dieser Zeit, in die wir zu wirken berufen sind, nicht gerecht werden. Notwendig ist der Thomas des 20. Jahrhunderts. Das ist ein großes Wort, aber wer vermöchte es gelassen auszusprechen?

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