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Ein Industrieller geht in die Politik

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In der italienischen Geschichte sind große Unternehmer als aktive Politiker selten. Als um die Jahrhundertwende die Industrialisierung in großem Stil einsetzte, schienen die plötzlich auftauchenden und sich erfolgreich behauptenden wagemutigen Unternehmernaturen weder politischen Ehrgeiz zu besitzen noch Anlaß zu haben, ihre wirtschaftlichen Interessen im Parlament zu vertreten oder doch vertreten zu lassen.

Auch heute ist es nicht viel anders. Noch vor wenigen Wochen bedauerten die führenden Männer des großen italienischen Industriellenverbandes, daß ihre bei den Regierungsstellen schlecht vertretenen Anliegen nicht durch Parlamentarier aus ihren Reihen wahrgenommen würden.

Anders denkt und handelt der bedeutende Industrielle Adriano Olivetti, dessen 1908 gegründetes, etwa 16.000 Arbeiter und Angestellte beschäftigendes Werk in Ivrea (nördlich Turin), etwa zwei Drittel seiner Schreib- und Büromaschinenproduktion in alle Welt exportiert. Er zählt heute zu den erfolgreichsten Unternehmern Italiens. Wie sein Vater, der Gründer der Firma, hat er stets fremde Hilfe verschmäht und ist, hierin vorbildlich, eigene Wege gegangen. Anlage und praktische, unter anderem in langen Aufenthalten in den Vereinigten Staaten gewonnene Anschauung hatten dem jungen Ingenieur eine moderne, den neuesten technischen und sozialen Erfordernissen aufgeschlossene Begriffswelt vermittelt, die sich im damaligen, technisch rückständigen Italien trotz aller im Menschlichen wie im Sachlichen liegenden Schwierigkeiten durchsetzte.

Ivrea, im am Fuß der Alpen gelegenen, landschaftlich schönen,' aber wirtschaftlich unergiebigen Canavesegebiet mit etwa 150.000 Einwohnern, von denen in früheren Jahrzehnten viele auswandern mußten, ist die Haupstadt dieser Region, die besonders in den letzten Jahren einen ungeahnten Aufschwung nahm. Nach fast einstimmigem Urteil fiel die Besserung der Lebensverhältnisse dieser in kleinen und kleinsten Betrieben hauptsächlich Ackerbau treibenden Bevölkerung mit dem Hervortreten einer den Beinamen „Bewegung“ führenden politischen Organisation zusammen, des „Movimento Comunitä". Diese „Bewegung der Gemeinschaft“ hat, obwohl nunmehr fast zehn Jahre alt, bislang im Verborgenen geblüht. Ihr Gründer und Förderer heißt Adriano Olivetti.

Erst bei. den Kommunal- und Provinzialwahlen im Mai dieses Jahres trat die „Comunitä", hauptsächlich im umgrenzten Bezirk, ihrer Region, vor die Rampe, indem sie sich mit einigen Kandidaten um Stadtverordnetenmandate in vielen Kommunen bewarb. Der Erfolg, wenn er auch nur in kleinem Bereich erzielt wurde, scheint die Bewegung politisch zu recht- fertigen: Von 117.000 Abstimmenden im Canavesegebiet erhielten die „Comunitari“ 34.000 Stimmen. In 32 Gemeinden, wo sie eigene Listen aufstellten, erreichten sie die Mehrheit, in fast allen anderen beachtliche Minderheiten.

Diesen Teilerfolg auf kleinem Raum will Olivetti mit zunächst bescheidener Zielsetzung auf ganz Italien ausdehnen. Mit der ursprünglich absichtslosen, von seinem Unternehmen ausgehenden, im Wirtschaftlichen und Sozialen wurzelnden Bewegung möchte er das heute im Politischen neben der einzig regierungsfähigen Partei, der Democrazia Cristiana, bestehende Vakuum ausfüllen helfen. Denn welche politischen Kräfte agieren heute links von der mammutähnlichen, fast alle Berufe im politischen Bereich schlecht und recht zusammenfassenden und nur durch das christliche Bekenntnis gebundenen Christlich-demokratischen Partei? Jener Partei, die dank ihrer großen, aber heterogenen Anhängerschaft zwangsläufig zur Führerschaft, ja fast zur Alleinherrschaft berufen erscheint? — Da streiten, größtenteils im Marxismus und in der Staatsverneinung befangen, die Kommunisten und die Nenni-Sozialisten, daneben das mutige Häuflein der demokratisch orientierten Rechtssozialisten, die sich bisher vergebens bemühten, die große Gruppe der den Kommunisten verschriebenen „Nennianer“ zum staatsbejahenden „positiven Sozialismus“ zu bekehren.

Die Zielsetzung ist in den zahlreichen Veröffentlichungen und Zeitschriften der „Comunitä“ oft klar herausgearbeitet, oft nur angedeutet. In Ursprung und Entwicklung den traditionellen Parteien abgeneigt, will die Bewegung sich bei den nächsten, spätestens im Frühjahr stattfindenden Wahlen in die politische Arena begeben und sich inmitten des Parteienstreits ihren, wenn auch zunächst bescheidenen Platz erkämpfen. Olivetti will mit dem erprobten, persönlichen Ehrgeiz und politisches Machtstreben zurückdrängenden „Solidarismus“ weitere Kreise erfassen und damit in die einer FremJmacht hörige kommunistische Bewegung eine Bresche schlagen.

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