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Mitregieren erfordert Kompromißfähigkeit

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Sind die Grünen kompromiß-und regierungsfähig; oder wollen sie alternativ bleiben, das System ständig hinterfragen?

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Sind die Grünen kompromiß-und regierungsfähig; oder wollen sie alternativ bleiben, das System ständig hinterfragen?

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Wenn eine Partei in ihrem Namen die Bezeichnung „Alternative” führt, dann stellt sie den Ansprach, ein Gegenangebot zu legen. Das kann sein gegen: Bürokratismus, Parteienfilz, Gießkannensystem des Leistungsstaats, Umweltzerstörang, Sozialabbau, Wachstumsmanie, soziale Ungerechtigkeit, et cetera.

Von diesen Aspekten konnten sich die Grünen in erster Linie im Umweltbereich profilieren. Bei ihrer sozialen Kompetenz sind sie im Aufholen. Wenig sagen sie, was gegen den Bürokratismus zu tun wäre oder wie der Sozialstaat finanziert werden soll, außer daß sie die Energiesteuer wollen. Was sie auszeichnet, ist ihre Frische. Ihr vornehmlich junges Personal ist unverbraucht. Es hat auch nicht unter Machtansprüchen gelitten, die die sogenannten Altparteien in ihrer Integrität beeinträchtigen.

Mit ihrem Veränderangswillen wollen sie in die Regierung. Wenn es dazu kommt, wird es ihre eigentliche Nagelprobe. Sollen sie ein System mittragen, das ihrer Meinung nach auf der Stelle tritt und von seltenen Erfolgen wie dem EU-Votum zehrt, oder wollen sie eine Erneuerung herbeiführen, die viele Praktiken von Regierungsstil und Machtverteilung in Frage stellt? Welche Kompromisse könnten sie in einer Regierung mit den Sozialdemokraten mittragen, können sie ein solches Bündnis um ihrer selbst willen überhaupt eingehen?

Noch ist es nicht soweit. Es stellen sich Fragen nach der Mehrheitsfähigkeit einer rot-grünen Koalition, nach der Bereitschaft Franz Vranitzkys, einem solchen Bündnis vorzustehen, nach Animositäten zwischen ehemals linkslinken Grünen und dem jungen Establishment der Sozialdemokraten, das die zukünftige Führangsgarnitur bildet. Auch ideologisch ist die Katze nicht ganz aus dem Sack. Zwar scheinen ehemalige Kommunisten unter den Grünen wenig Neigung zu verspüren, solcher Ideologie nachzuhängen, aber wenn es im vergänglichen Sozialstaat zu Verteilungskämpfen kommt, müssen sie erst beweisen, daß sie nicht zu alten Klassenkampfkonzepten greifen. Was den Grünen fehlt, sind Perspektiven, wie sich Leistungsorien-tierang und Wohlstandsdenken menschlich vertretbar, also nicht ausbeuterisch, in ein Lebensbild fügen können. Sie sind selbst in einer Weise aufstiegsorientiert, daß sie den Verzehr an Kraft im Wettbewerb als gegeben hinzunehmen scheinen. Es geht also um Ethik. Nicht der Verhinderung mittels teilweise ressentimentbehafteter Abneigungen gegenüber Strukturen sondern um Gestaltung.

Daß eine Frau an der Spitze steht, zeigt, daß die Männer in ihrem Machtvolumen sich gegenseitig selbst kaltstellen, Pattsituationen entstehen, die sie zunehmend unfähig sind, zu bereinigen. Vielleicht nimmt die Politik hier Entwicklungen in der Wirtschaft vorweg, die ebenso Integratoren braucht und weniger den weltanschaulichen Schwertträger, der allem sein Gesicht geben will.

Madeleine Petrovic ist keine Jeanne d' Are. Trotzdem haben die Grünen ihre Kinderkrankheit noch nicht überwunden. Es fällt ihnen schwer, die Gesellschaft als komplexes System zu verstehen, das man nicht einfach in Gut und Böse einteilen kann. Außerdem ist manchen von ihnen der Zynismus nicht fremd, nicht unbedingt etwas Nachahmenswertes der gewachsenen Politik.

Es geht nicht darum, von den Grünen sittliche Beinheit zu fordern, eine reine Lehre endet meist in To-talitarismus. Aber eine Lehre werden sie brauchen, sonst werden sie gegenüber dem Autoritätsansprach eines Jörg Haider nur die Warner, nie aber die Präger einer anderen Lebensart sein. Leicht ist diese Aufgabe nicht, denn in der Bevölkerung steigt das Bedürfnis, Sinnprobleme an Autoritäten zu delegieren. Es ist die Herausforderang der Grünen, dem System den Fortschritt zuträglich zu machen.

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