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Eigenes Denken statt staatliches Lenken
Das Unbehagen der Bürger mit ihrem Staat hat viele Ursachen. Unter der „fürsorglichen“ Betreuung vor) Machern löst der Wohlfahrtsstaat alle Probleme. Er entwickelt sich immer stärker zum alleinigen Machtträger. Per Gesetz werden private Wirtschaftsbereiche vereinnahmt und durch zentrale Steuerung autonome Institutionen unter Dach und Fach gebracht.
In der Landwirtschaft nennt man diesen Vorgang: einholen - nichts darf draußen bleiben.
Dem einzelnen wird viel geboten, bloß nicht Subsidiarität und Animation zur Selbsttätigkeit. Der Bürger verkümmert zum Konsumenten.
Oder er steigt aus und lebt alternativ - und einfach.
Immer häufiger entwickeln junge Leute Ideen zur Selbstgestaltung des eigenen und des Lebens in der Gemeinschaft. Und sie wollen diese Ideen in die Tat umsetzen: Altema- tivenergien, biologischer Landbau, Bürgerinitiativen, Kinde’rpro- gramme und Lebenshilfe aller Art.
In Diskussionen werden Wege gesucht, um sich in Selbstorganisation und kreativer Tätigkeit individuell in das Gemeinschaftsleben einzubringen und dadurch Identität zu finden.
Der Pro Wien-Ideenmarkt „Einfach leben“, der vergangene Woche im vierten Wiener Gemeindebezirk mit dichtem Programm zahlreiche Menschen anlockte, ist Ausdruck dieser Bewegung.
Der Initiator der Ideenbörse, Erhard Busek, Vizebürgermeister und Wiener ÖVP-Chef, ortet die Zeichen der Zeit: Der anonyme Großraumapparat des Einheitsstaates vermittelt kein Glück („Glück ist eine individuelle und keine kollektive Größe“).
Und glücklich sein heißt tätig sein, tätig sein für sich und für andere, tätig sein in überschaubaren Einheiten, wo Eigenverantwortung Platz greifen kann.
Die neuesten Ergebnisse einer vom Fessel-Institut durchgeführten Meinungsumfrage zu gesellschaftlichen Werten und Zielen geben Busek recht. Sie zeigen in eindrucksvoller
Weise, daß der „Sozialstaat“ Strukturen entwickelt hat, die an den wahren Bedürfnissen des Menschen Vorbeigehen. Anders wäre es schwer einzusehen, daß 66 Prozent der Befragten „ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten“ und „anderen helfen, für andere etwas tun“ wollen. 72 Prozent betonen gar die „Rücksichtnahme auf die anderen“, und 63 Prozent sehnen sich nach Werten wie „Nächstenliebe und Moral“.
Das Dilemma der staatlichen Sozialeinrichtungen - von oben verordnet - wird offenbar. Gut gemeint, in vielen Fällen sicherlich hilfreich, behindern und lähmen sie insgesamt dennoch die soziale Initiative des einzelnen.
Etwas mehr als die Hälfte der Befragten möchte „ein einfaches und bescheidenes Leben“ führen. Sind die „Grünen“ im Vormarsch? Busek - ein „Grüner der Nation“?
„Selbstverständlich ist es meine politische Intention, auch den Andersdenkenden, den Alternativbewegungen, Möglichkeiten der Selbstverwirklichung zu bieten“, erläutert der schwarze Vorreiter seine Integrationsversuche: Bürgerinitia- tivler, „Grüne“ und „Bunte“ lehnen bekanntlich konventionelle Parteien eher ab. Diese Variante des Lebens bedeute nicht Ablehnung des traditionellen Parteiprogramms, sondern vielmehr dessen Bereicherung, einen Zusatz sozusagen („Pluralismus bedeutet ja: vielerlei nebeneinander“).
Und dann meint Busek an die Adresse seiner Partei: „Das ist mein Beitrag zur Reformdiskussion.“
Der Ideenmarkt war, gestehen Gesinnungsfreunde und -gegner gerne zu, ein Meilenstein in der Experimentalpolitik („das ist ein Experiment“) des ideenreichen Oppositionellen. Weitere werden folgen, Busek plant in Fortsetzungen. In der Folge soll sich ein von ihm gekauftes Wirtshaus („Ich stelle die Infrastruktur“) zu einem Kommunikations- und Nachbarschaftszentrum entwickeln.
Angesichts der grünen Signale aus der Bundesrepublik Deutschland scheint der ÖVP-Stratege richtig zu liegen: In Bremen ziehen die „Grünen“ mit vier Mandaten in das Landesparlament und in Bonn fürchten die Sozialliberalen um den Verlust der Macht: Die roten und die liberalen Grünen könnten nämlich ihre Stimmen der Regierungskoalition entziehen und „1980 - ungewollt - den Unions-Kandidaten ans Ziel bringen“ (Spiegel).
In Wien sandten - klagt man im Bu- sek-Lager - der ÖGB und die Arbeiterkammer ihre Soldaten aus - als Störtrupps zum ÖVP-nahen Altema- tivtreff. Am Wochenende besetzten linke Berufsdemonstrierer die Halle: Macht durch Gewalt. Buseks „softies“ sind gewichen. Ganz im Sinne der Alternative, jenseits der Macht Eigeninitiative zu entwickeln.
Der politische Stellenwert der Alternativenkultur ist evident.
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