Darf unsereiner die eigene Zeitung loben? Gelegentlich ja. Das Schwerpunkt-Thema der vergangenen Woche ("Politik in Fesseln") hat das akute Dilemma der heimischen Politik beeindruckend deutlich gemacht. Umdrängt von Wutbürgern, "Shitstorms", medialem Misstrauen und - mit der Flüchtlingsflut - der größten politischen Herausforderung seit Jahrzehnten, ist das politische Geschäft zuletzt mehr denn je ins Abseits geraten. In der Vertrauens-Hierarchie liegt die Politik vielleicht sogar hinter dem Journalismus (was kaum noch denkbar erscheint).
Von "Kontrollverlusten und Ohnmachtsgefühlen" unserer Politiker schreibt der Strategieberater Thomas Hofer. Und diagnostiziert: Eine Vielzahl an Ängsten - allen voran die Angst vor Medien und Bürgerkontakten - esse die Seelen unserer Spitzenmandatare auf.
Stimmt.
Und doch möchte ich - aus langer Beobachtung, auch Nähe - einmal dagegenhalten. Politiker leben in einem Netzwerk unauflöslicher Widersprüche: Demokratie braucht "Volksvertreter" - und zugleich Eliten. Braucht Parteien, die (siehe ihr Name) Gruppeninteressen wahrnehmen - und doch um das Ganze wissen. Braucht im Aktuellen den Blick auf das Langfristige. Braucht im Österreichischen das europäisch Gemeinsame usw. usw.
Darüber hinaus sind Politiker zerrieben zwischen Kurzzeit-Stimmungen, medialen Unberechenbarkeiten, bürokratischen Zwängen, zwischen Differenz und notwendigem Konsens. Zudem stehen sie im systemimmanenten Dauer-Wettbewerb um Sympathien und Stimmen. Raum für große Würfe bleibt da kaum.
Überwiegend anständige Menschen
Ich habe Generationen heimischer Politiker beobachtet, ja mit ihnen zusammengearbeitet. Ihren Arbeitstag dürfte sich kaum ein Bürger wünschen. Ihr Gehalt ist - verglichen mit ähnlicher Verantwortung in der Wirtschaft - mehr als angemessen. Ihr Risiko öffentlicher Niedermachung übergroß. Dazu ist die Halbwertszeit ihres Mandats kurz - und die Rückkehr ins "normale" Leben kompliziert und immer der Häme ausgesetzt. Wer sich heute eine öffentliche Funktion antut, muss mit bitteren Verlusten rechnen, keineswegs nur materiell.
Mehr noch: Ich habe überwiegend anständige Menschen am Werk gesehen. Keine Machthungrigen, keine Lobbyisten undurchsichtiger Interessen, keine Privilegienkaiser - die sitzen anderswo.
Globale Vergleiche - Amerika eingeschlossen - machen mich noch sicherer.
Warum ich das schreibe? Vor allem deshalb, weil ich mir Sorgen um unsere noch immer funktionierende Demokratie mache, in der dieser zentrale Dienst am Gemeinwohl im öffentlichen Misstrauen unterzugehen droht.
Jawohl, Politik braucht Kritik und permanente Reformbereitschaft. Ich fürchte aber, dass die gegenwärtige Situation nicht dazu angetan ist, fähige, charakterstarke Menschen zu verlocken, ein paar Jahre ihres Lebens für den Dienst am Land und an der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!