Die Furche-Herausgeber
Unterwegs durch Österreich erlebe ich derzeit bei öffentlichen Diskussionen einen klaren Stimmungswandel: Außenpolitik schlägt Innenpolitik. Das hat es seit Kreiskys Zeiten nicht mehr gegeben. Die Gründe liegen auf der Hand: Das griechische Schulden-Drama vor allem - und seine Folgen bis in die eigene Geldtasche. Aber auch der "Arabische Herbst“ samt jüngstem Machtzuwachs für Islamisten - und die latenten Integrations-Urängste vor der eigenen Haustüre.
Vor allem die Europapolitik, die bisher - nicht nur in Österreich - auf "gähnende Langeweile“ (Ralf Dahrendorf) gestoßen ist, hat sich mit wirtschaftlichen Existenzfragen zu einem Geflecht verfilzt. Und die Bürger spüren: Das geht uns alle an.
Die Idylle ist vorbei
Manches spricht sogar dafür, dass diese neue Aufmerksamkeit für internationale Entwicklungen mehr sein könnte als nur eine kurzlebige Besorgnis. Dicht wie schon lange nicht drängen jetzt Neuerscheinungen auch heimischer Autoren auf den Büchermarkt, die sich mit der Zukunft der Europäischen Union befassen. Fast mühelos schaffen derlei Themen sogar den Sprung auf Bestsellerlisten. Die Meinungsforschung bestätigt diesen Trend: Fast jeder zweite Österreicher fragt sich derzeit, wie es mit Europa, der Weltwirtschaft und dem eigenen Wohlstand weitergehen könnte.
Für uns Österreicher ist dieser Bewusstseinswandel besonders bemerkenswert: Auch 17 Jahre nach unserem EU-Beitritt waren wir - so der gängige Befund - "nicht wirklich in Europa angekommen“. Zu gerne hatten wir die Sonne noch über dem eigenen rotweißroten Schrebergarten untergehen lassen. Selbst bei Kanzler Faymann und Co. musste niemand eine Kernschmelze seiner europapolitischen Leidenschaften befürchten. Diese Idylle ist jetzt vorbei. Europa hat uns erreicht, mit allen Risiken, aber auch mit aller Mitverantwortung. Jetzt wissen wir um die europäische, ja globale Schicksalsgemeinschaft. Ein Lernprozess, der Folgen hat - auch für unsere Politik, die sich bisher zu gerne der wohligen Kleingeisterei angeschlossen hat. Jetzt kann sie sich nicht mehr vor wichtigen Fragen drücken:
Wer wollen wir sein?
• Was ist das unbestritten "Europäische“ an Österreichs Interessen und Zielen - und was das bleibend Eigene?
• Wie lässt sich dieses Unverwechselbare unserer Heimat, unsere rotweißrote "corporate identity“, noch knapp und zeitgemäß darstellen: Wer wir sind und was wollen wir sein?
• Wo liegen die Aufgaben und Perspektiven unserer Mitgestaltung - zunächst im größeren europäischen Verbund und dann auch jenseits dieses Kontinents?
• Und was bedeutet das für manch vermeintliche Selbstverständlichkeit zuhause - Neutralität und Landesverteidigung eingeschlossen?
Diese Selbstfindung setzt auch ein "gemeinsames Narrativum“ (© Claus Reitan) voraus, eine parteipolitisch unbestrittene Republiksgeschichte. Sie fehlt noch immer. All das braucht viel Mut und Ehrlichkeit, aber auch einen hohen Anspruch an uns selbst. Mit dem steigenden außenpolitischen Interesse wächst der Druck zu solcher Selbstfindung.
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