Zugegeben, ich war naiv. Sehr naiv sogar. Kaum war in diesem Sommer der legendäre Kanzler/Faymann-Brief an die Krone verfasst, war ich mir sicher: "Jugend und Europa" - das könnte, nein: müsste das Zukunftsthema dieser Wahl sein. Wer sonst sollte sich um Europa kümmern, wenn nicht die Jüngeren, die frei sind von überholter Europa-Romantik und aller - politisch missbrauchten - Ängstlichkeit der Älteren.
Auf ein Signal der Offenheit hatte ich gehofft - gegen alles Hermetische, das letztlich immer in die Selbstschädigung führt. Da ist ja kein Tag, der nicht die Unverzichtbarkeit dieses gemeinsamen Europas bestätigt - jetzt mehr denn je.
Ohne Scheu nach rechts
Am Wahlsonntag ist es anders gekommen. Ganz anders. Die junge Generation hat sich ohne Scheu nach rechts bewegt. Weg von Offenheit und Europa. Hat bei den coolen, neu-alten Mundwerksburschen Station gemacht. Bei denen, die auf Anti-Europa-Populismus und Überfremdungsangst gesetzt haben.
Jetzt geht es ans Ausdeuten der Wahlmotive: Wie viel blau-braune Ideologie versteckt sich in diesem Ergebnis? Und wie viel Widerwille gegen die immer gleichen Funktionäre? Was ist nur Stimmung - und was das Problem? Und: Warum sind gerade wir Österreicher, Herzland und größter Nutznießer der europäischen Einigung, so entgleist?
Es gibt zwei Möglichkeiten, Antworten zu suchen. Die eine: an der Vernunft derer zu zweifeln, denen in der Demokratie das Wahlrecht zusteht - und auch am Können derer, die gewählt wurden. Das ist die eine Seite - und sie ist längst ausgereizt. Wir wissen: Politiker, die sich ein besseres Volk wünschen, sind ebenso fehl am Platz wie Wähler, die unter unseren gesellschaftlich-medialen Rahmenbedingungen auf bessere Mandatare, gar auf Staatsmänner hoffen. Und dass sich mit der Angst vor dem Anderen, dem Fremden gut Politik machen lässt, ist keine neue Erfahrung.
Die andere Seite aber ist die ehrliche Frage nach Zustand und Zukunft Europas. Da geht es nicht mehr um den Schmäh, den Wählern völlig wirkungslose nationale Volksabstimmungen zu suggerieren. Es geht um das tiefe Dilemma Europas: "Das Nationale ist voller Eros. Es spricht die Herzen an und befriedigt die Sinnsuche. Das Übernationale aber appelliert nur an das Gehirn." (Joseph Weiler)
Fremde Selbstverständlichkeit
Noch immer greift die Suche nach Europas Identität, nach einem "Wir"-Gefühl, völlig ins Leere. "Das Schlimmste an der EU ist ihre gähnende Langeweile", hat kürzlich jemand gemeint. Europa als monströser Zwitter: kein Staat, keine Verfassung, keine gemeinsame Sprache, keine endgültigen Grenzen, kein klares Ziel. Kein Glutkern. Und doch ein unglaubliches Erfolgsmodell.
Am Ende wird wohl jede nächste Koalition wissen, was sie an Europa-Treue zu leisten hat. Und die Jugend wird ihre Mobilität - hoffentlich - nützen, um sich beim nächsten Mal in anderen politischen Ideen wiederzufinden. Aber die Fragen bleiben: Was ist dieses Europa überhaupt? Wie schafft es Zugehörigkeit, Nähe? Und: Haben wir schon zu viel Europa - oder noch zu wenig?
Ich fürchte, dass uns Europa von einer zunächst selbstverständlichen Fremdheit zu einer fremden Selbstverständlichkeit geworden ist.
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