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Der Advent naht - für Verkäuferinnen die unerträglichste Zeit im Jahr. Doch auch jenseits von Weihnachten kämpfen die Handelsangestellten gegen allerlei Widrigkeiten. Ein "Gütesiegel" für faire Arbeitgeber und eine paritätisch besetzte Beschwerdestelle sollen das ändern.

Noch schallt ein Hitparaden-Song durch die drei Etagen des Interspar-"Hypermarkts" in Wien-Floridsdorf. Doch schon nächste Woche ist die Schonfrist womöglich vorbei: Dann wird hier - wie in allen heimischen Einkaufsmärkten - gnadenlos auf Weihnachten umgestellt: "White Christmas" und "Jingle Bells" werden aus den Lautsprechern tönen und die Kundschaft in einkaufsfördernde Besinnlichkeit versetzen.

Die Freude der Mitarbeiterschaft über diese Dauerberieselung ist freilich gering - obwohl sich manche an den Tonteppich gewöhnen: "Das hör' ich gar nicht mehr", meint eine Interspar-Verkäuferin, während sie abends um halb sieben Uhr, eine Stunde vor Ladenschluss, noch das Obst in Ordnung bringt.

Wie auch immer man sich behilft: Für die Geschäftsführung zählt zuvorderst der Wunsch der Kunden - und deren Kaufverhalten: "Man macht diese Musik, weil die Leute in dieser Stimmung einfach mehr einkaufen", meint Marcus Wild, Geschäftsführer von Interspar Österreich. Immerhin achtet man auf Abwechslung: Damit Kundschaft und Mitarbeiter nicht durch "Jingle Bells" im Zehnminutentakt genervt werden, hat man ein Instore-Radio mit der Programmgestaltung betraut.

Fairness für Verkäuferinnen

Für Manfred Wolf ein schwacher Trost: "Sechs Wochen Zwangsberieselung mit Weihnachtsmusik ist schwer erträglich", kritisiert der Sekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA). Der Besinnungs-Lärm ist für ihn freilich nur eines von vielen Problemen, mit denen die 350.000 heimischen Handelsangestellten - immerhin 70 Prozent davon Frauen - zu kämpfen haben. Glaubt man Wolf, dann sind die Verstöße, die sich die Handelsbetriebe "manchmal unabsichtlich, aber meistens absichtlich" leisten, breit gefächert: Kollektivverträge werden nicht eingehalten, Dienstzeiten bleiben undefiniert oder münden in einen Dienst auf Abruf, Überstunden werden nicht aufgezeichnet oder nicht bezahlt. Dazu kämen "dramatische Hinweise" von Ärzten, die in Einkaufszentren Verkäuferinnen betreuen und vermehrt auf Burnout, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schmerzen im Stütz- und Bewegungsapparat stoßen, so Wolf.

Schwierige Vereinbarkeit

Für den Gewerkschafter Grund genug, im Rahmen einer Plattform "Fairness für VerkäuferInnen" zu fordern - gemeinsam mit der Katholischen ArbeitnehmerInnenbewegung und der Interessenvertretung der NÖ Familien (eine Zusammenarbeit der Katholischen Familienverbände der Erzdiözesen Wien und St. Pölten, des NÖ Familienbundes, der NÖ Kinderfreunde und des Freiheitlichen Familienverbands).

Nicht nur die Arbeit selbst, auch die Vereinbarkeit mit der Familie wird den Verkäuferinnen durch die Ladenöffnungszeiten - derzeit 66 Stunden wöchentlich - schwer gemacht, so Wolf: "Viele Kindergärten sperren mittags zu. Die Unternehmen erwarten aber, dass die Verkäuferin abends zur umsatzstärkten Zeit da ist."

Auch Franz Kampichler, Präsident der Interessenvertretung der NÖ Familien, weiß um die "Zwickmühle", in der Handelsangestellte mit Kindern stecken. Umso vehementer fordert er bei den Betrieben - und vor allem bei den Kunden - ein Umdenken: "Wenn der Konsument Eier von glücklichen Hühnern verlangt, wird er sie bekommen. Genauso sollte er auch Ware von glücklichen Mitarbeitern fordern." Um faire Handelsunternehmen für den Kunden kenntlich zu machen, wünscht sich Kampichler ein "Gütesiegel" - nach dem Vorbild der Aktion "Taten statt Worte", bei der alljährlich in Niederösterreich besonders familienfreundliche Betriebe ausgezeichnet werden.

Auslöser für den Vorstoß der Plattform waren eigene Beobachtungen - und jüngste Missbrauchsfälle beim Handelsriesen Rewe (Billa, Merkur, Bipa, Mondo/Penny): Bei der Arbeiterkammer waren zahlreiche Beschwerden ehemaliger Billa-Mitarbeiter eingelangt, die über verpflichtende und nicht bezahlte Überstunden geklagt hatten. Rewe mit seinen rund 38.000 Beschäftigten würde sich dadurch einige Millionen Euro pro Jahr ersparen. Um die Fälle zu klären, wurde schließlich eine Arbeitsgruppe ("Task Force Arbeitsrecht") gegründet, in der neben Rewe-Austria-Chef Veit Schalle auch Betriebsrat und Gewerkschaftsmitglieder sitzen.

Dass der Missbrauch von Angestellten im Handel System hätte, wird indes von der Wirtschaftskammer bestritten: "Ich kenne keine Einzelfälle, aber bei mehr als 50.000 Arbeitgebern kann so etwas vorkommen", meint Rolf Gleißner, zuständiger Referent für Arbeitsrecht in der Sparte Handel. Der teilweise "nicht angenehmen" Arbeitszeiten in seiner Branche ist er sich bewusst: "Aber der Samstag ist eben der umsatzstärkste Tag, da will der Kunde bedient werden." Da das Stammpersonal laut Kollektivvertrag nur jeden zweiten Samstag beschäftigt werden dürfe, müsste man ein Zweischichtsystem etablieren - oder sich mit geringfügig Beschäftigten behelfen.

Eine, die unter einer solchen Beschäftigung mehrere Jahre gelitten hat, ist Gertrude V. (Name von der Redaktion geändert). Zwölf Stunden monatlich hat sie bei der Firma Lutz gearbeitet und dafür 270 Euro verdient - unter der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze von 316,19 Euro. Tag für Tag musste Gertrude V. ein Schreiben unterzeichnen, mit dem sie auf ihre Ansprüche auf Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie auf fünf Wochen Erholungsurlaub verzichtete. Der Grund: Das Möbelhaus hat sie an jedem einzelnen Arbeitstag bei der Krankenkasse an- und wieder abgemeldet. Als Gertrude V. gekündigt wurde, klagte sie - und erhielt von Lutz prompt den Fehlbetrag zurück.

Während die Arbeiterkammer Niederösterreich mehrere solcher Fälle kennt, will man seitens der Firma Lutz nur von einer Causa wissen: "Dieser Fall ist von unserem örtlichen Filialleiter leider so gehandhabt worden - doch dieser Filialleiter ist nicht mehr bei uns beschäftigt", erklärt Hans Jörg Schelling, Mitglied der Geschäftsleitung der Lutz GesmbH.

Neue Beschwerdestelle

Wer auch immer näher an der Wahrheit ist: Leidenskollegen von Gertrude V. können in Zukunft womöglich auf Recht hoffen, bevor sie klagen müssen: Vergangene Woche haben sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Zuge der Kollektivvertragsverhandlungen im Handel nicht nur auf eine Gehaltssteigerung von 2,15 Prozent geeinigt, sondern auch auf die Schaffung einer paritätisch besetzten Stelle, die in Beschwerdefällen einberufen werden kann.

Man darf gespannt sein, ob auch sechs Wochen permanentes "Jingle Bells" von dieser "Task Force" als das angesehen werden, was sie für viele sind - Folter.

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