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Es geht ums nackte Uberleben

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Vielfältige Meinungsäußerungen gibt es derzeit zur Frage, ob die Geschäfte am 8. Dezember offenhalten sollen. Die folgende Position der Wirtschaftskammer Wien bezieht auch religiöse Aspekte ein.

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Vielfältige Meinungsäußerungen gibt es derzeit zur Frage, ob die Geschäfte am 8. Dezember offenhalten sollen. Die folgende Position der Wirtschaftskammer Wien bezieht auch religiöse Aspekte ein.

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Bereits in den vergangenen Jahren war das Weihnachtsgeschäft stets ein unverzichtbarer ■Bestandteil der gesamten Umsätze des Handels während des Jahres. In den letzten Jahren mußten aber vor allem in Wien immer mehr stagnierende Umsätze festgestellt werden. Die nominelle Umsatzreduktion zwischen Jänner und Juni 1995 betrug sogar minus 1,5 Prozent. Unter diesen Vorzeichen ist das Weihnachtsgeschäft im heurigen Jahr von besonderer Bedeutung. Aufgrund der Ertragslage im Handel - bedingt durch stetig sinkende Preise - geht es aber keineswegs um die Forcierung blinder Kaufwut, sondern um das nackte Überleben der Betriebe und somit auch der Arbeitsplätze.

Storker Kaufkraftabfluß

Bekanntlich ist der zweite Samstag im Dezember der klassische Einkaufssamstag. Während am ersten Weihnachtseinkaufssamstag primär Schaufenster betrachtet und Waren besichtigt werden, erfolgt am zweiten und an den weiteren Samstagen der tatsächliche Einkauf. Wenn nun am 8. Dezember geschlossen wäre, würde der Kaufkraftabfluß, bedingt durch das verlängerte Wochenende, besonders stark ausfallen und somit auch der zweite Weihnachtseinkaufssamstag, nämlich der 9. Dezember 1995. Dieser Verlust könnte auch durch die Einkäufe von Wochenendtouristen in Wien nicht wettgemacht werden.

Aufgrund der heurigen Kalenderkonstellation fällt der letzte der vier Weihnachtseinkaufssamstage auf den 23. Dezember. Durch die unmittelbare Nähe zum Heiligen Abend wären an diesem Samstag keine extremen Umsätze mehr zu erwarten. All diese Umstände sprechen massiv für die Möglichkeit, am 8. Dezember in einem beschränkten Ausmaß von zehn bis 17 oder 18 Uhr offenzuhalten.

Oft wird in der öffentlichen Diskussion auch bezweifelt, daß dieser Feiertag trotz Arbeit entsprechend und gebührend gewürdigt werden kann. Der Wiener Kirchenzeitung vom 1. Oktober 1995 ist zu entnehmen, daß am 18. Mai 1947 ein kirchliches Gelöbnis ausgesprochen worden ist, den 8. Dezember jährlich in Österreich hochfeierlich zu halten. Nun stellt sich allerdings die Frage, ob das Öffnen von Geschäften diesem Versprechen widerspricht?

Würde man zum Schluß kommen, daß jedwede Arbeit an einem Sonnoder Feiertag der Heiligung dieses Tages entgegenstünde, dürften keine öffentlichen Verkehrsmittel verkehren, keine Museen öffnen, keine Hotels und auch keine Gastronomie betrieben werden. Eine solche Interpretation ist aber auch aufgrund einer historischen Betrachtung unzutreffend. Eindrucksvoll beschreibt ein Leserbrief in einer österreichischen Tageszeitung, wie in früheren Jahrzehnten vor allem in ländlichen Gebieten der Sonn- oder Feiertag begangen worden ist. Da heißt es: „Ab dem Jahr

1912 besaßen meine Eltern in dem streng katholischen Mistelbach ein Schuhhaus mit sehr viel Personal. Bis zum Ersten Weltkrieg war das Geschäft an Sonntagen geöffnet. Bis 1938 waren die Geschäfte an Sonntagen von sieben bis zwölf Uhr offen, desgleichen zu den Feiertagen Christi

Himmelfahrt, Maria Himmelfahrt und Maria Empfängnis am 8. Dezember. Daß Ostermontag, Pfingstmontag und Stefanitag vormittags normaler Geschäftsbetrieb war, sei nur noch nebenbei erwähnt.” Wäre diese Praxis der geziemenden Würdigung eines Sonn- oder Feiertages entgegengestanden, hätte man sie schon viel früher abstellen müssen.

Der Enzyklika Laborem exercens (Nr. 25) ist zu entnehmen, daß die Arbeit als Teilnahme des Menschen am Schöpfungsplan Gottes zu verstehen ist. Soweit es sich also um eine Arbeit handelt, die der Würde des Menschen entspricht und für den Mitmenschen nützlich ist, entspricht sie der göttlichen Schöpfungsordnung und kann daher einem Tag die besondere Würde eines Feiertages nicht nehmen.

Auch diese Grundwertung steht also einem Arbeiten am 8. Dezember nicht entgegen.

Es darf in diesem Zusammenhang auch auf die benediktinische Grundregel „Bete und arbeite” verwiesen werden. Die abendländische Kultur beruht fundamental auf diesen

Grandsätzen der Mönche. Gebet und Arbeit sind in dieser Grandregel als wichtig und bedeutend festgelegt. Die angestrebte Begelung für den 8. Dezember würde beiden Grandwerten Bechnung tragen.

Dem Pressedienst der Erzdiözese Wien vom 20. September 1995 ist zu entnehmen, daß der neue Generalvikar der Erzdiözese Wien, Monsignore Schüllerj die Ansicht vertreten hat, daß der Marienfeiertag kein Tabu sein sollte. Prinzipiell - so heißt es in der Aussendung - sei die Geschäftsöffnung am Marienfeiertag vorstellbar. Somit läßt sich klar erkennen, daß es zwar innerhalb der Kirche durchaus unterschiedliche Meinungen gibt, ob und in welchem Ausmaß an diesem Tag Freizeit zustehen soll, jedoch zwingende Glaubensvorschriften keineswegs ein Öffnen am 8. Dezember verhindern.

Würde der Menschen nicht verletzt

Die Eckpfeiler, auf denen die Beschäftigung von Arbeitnehmern am 8. Dezember beruht, sind: Entschlagungsrecht des Mitarbeiters aus persönlichen Gründen sowie die Tatsache, daß der Feiertag an sich nicht in Frage zu stellen ist. Auf diese Weise ist sichergestellt, daß die Würde der Menschen nicht verletzt und die sozialen Interessen derselben entsprechend berücksichtigt werden. Mit dieser ausgewogenen Lösung wird einerseits erreicht, daß die erforderlichen Maßnahmen zur Verbesserung der momentanen wirtschaftlichen Lage ermöglicht und andererseits religiöse und soziale Interessen von Mitarbeitern entsprechend berücksichtigt werden.

Als Präsident der Wirtschaftskammer Wien setze ich mich dafür ein, daß die Geschäfte besonders in diesem Jahr wegen des Freitags zwischen zehn und 17 Uhr geöffnet halten sollen.

Die Wirtschaftskammer Wien will den Feiertag nicht abschaffen, sie möchte vermeiden, daß wie in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Kaufkraft- rund eine Milliarde Schilling allein an dem betreffenden Wochenende - ins Ausland abfließt und dadurch die Existenz der Klein- und Mittelbetriebe gefährdet wird.

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