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Digital In Arbeit

Der „Goldene“ ist verblichen

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In der Menschheitsgeschichte war der christliche Sonntag der erste Versuch, weltweit einen geordneten Wochenarbeitsrhythmus zu proklamieren und dem Ablauf der Arbeit einen gebotenen Ruhetag einzufügen — für alle Menschen, gleich welcher sozialen Schichte sie nun angehörten. Dem Zeitalter der Exzesse des Hochkapitalismus blieb es auch Vorbehalten, das klassische Verhältnis von sechs Arbeitstagen zu einem Ruhetag aufzuheben und den Sonntag als Arbeitstag — zumindest teilweise — für die entrechteten Proletarier zu disqualifizieren.

Der Sortiütag die Jahrhunderte hindurch in den Efnfluff- zonen des ChrVsteHWimh’ der legitime Ruhetag für alle Werktätigen, ausgenommen jene, die kontinuierlich zu leistende Dienste zu bieten hatten — und der Einzelhandel. Der Händler mußte gerade in jenen Zeiten dienstbereit sein, in denen die anderen feiern durften. Die Gründe für die Ausklammerung eines ganzen Berufsstandes von der Möglichkeit einer Sonntagsruhe hing weitgehend mit sachlichen Erwägungen zusammen,

etwa mit dem Tatbestand, daß früher die Masse der Berufstätigen ihre Einkäufe in den Handelszentren eben nur am freien Tag vornehmen konnten. Es sei an die Bedeutung des Kirchganges erinnert, der zugleich ein Einkaufsgang war und sein mußte.

Allmählich wurde in Österreich aus unterschiedlichen Erwägungen heraus vom Offenhalten der Betriebe des Einzelhandels an Sonn- und Feiertagen Abstand genommen. Lediglich einzelnen Betrieben wurde in Form einer Sondererlaubnis gestattet, auch an Sonntagen zu verkaufen.

Ein Anachronismus in der Gestaltung dÖr ÖffenhältezeitSii’’’blieb: die Möglichkeit des Verkaufes an den beiden letzten Sonntagen . vor dem ersten Weihnachtsfeiertag. An diesen beiden Tagen kann offengehalten werden: Pflichtgeschäftszeiten gibt es auch an den beiden genannten Sonntagen nicht.

Die Begründung: Die Nachfrage der Massen vor dem Heiligen Abend nach Geschenkartikeln (Gebrauchsgegenstände bis spezifische Luxusartikel) sei durch die Bindung der Geschenküber reichung an einem einzigen Tag so stark, daß sie an den Wochentagen vor dem Heiligen Abend nicht in Ruhe erfolgen könne. Nun wird bereits seit Jahren gegen das Offenhalten an den beiden vorweihnachtlichen Sonntagen Verwahrung eingelegt: von katholischen Organisationen, von den Gewerkschaften und von allen, denen an der Stille des Advents — auch an seinen letzten Sonntagen — gelegen ist. Sogar die Einzelhändler haben keineswegs mehr eine reine Freude. Zumindest nicht die Eigentümer der kleinen Betriebe.

Rückzugsgefecht In- einer Art Rückzugsgefecht wird äüch in diesem Jahr einiges für /die Beibehaltung der verkaufsoffenen Sonntage vor dem Christtag vorgebracht. Keiner der angegebenen Gründe kann jedoch so recht überzeugen, so daß man vermuten muß, es handle sich vor allem um die Sicherung einer liebgewordenen Traditionsveranstaltung, um die Institutionalisierung eines Rummels, der manchen einen beachtlichen Sondergewinn ab- wirft, manchen, aber keineswegs der Mehrheit der Händler.

Die Nachfrage nach den sogenannten Weihnachtsgeschenken ist eine gleichbleibende Gesamtgröße und kann durch das zusätzliche Offenhalten an zwei Sonntagen des Jahres keineswegs größer werden, da sie von der Kaufkraft der Nachfragenden bestimmt und begrenzt ist. So sehr man nun dem Einzelhandel zugute halten will, daß er im Dienst am Kunden und aus diesem Grund allein zusätzlich die Last des Offenhaltens an zwei Sonntagen auf sich nehmen will, muß man doch davon ausgehen, daß jedes Erwerbsunternehmen, und dies legitim, an einem maximalen Periodengewinn (Jahresreingewinn) interessiert ist. Für die Annahme, daß der Gewinn des Einzelhandels — insgesamt — durch das Offenhalten an zwei Sonntagen größer wird, fehlt aber jeder Beleg. Im Gegenteil.

Die Ausgabebereitschaft vor dem Christfest ist nun einmal da, ob es einen Goldenen oder Silbernen Sonntag gibt oder nicht. Die Abschaffung der zwei Einrichtungen unseres Brauchtums könnte lediglich zu einer zeitlichen Verlagerung der Einkäufe auf einen längeren Zeitraum oder auf die letzten Wochentage vor dem Christfest führen. Keinesfalls kann aber eine Reduktion der Nachfrage befürchtet werden.

Die Möglichkeit, die Dauer der Dienstbereitschaft an die Intensität der Nachfrage und an die Zahl der Nachfragenden anzupassen, besteht übrigens ohnedies: Geschäfte, die keine Lebensmittel führen, dürfen an den vier vorweihnachtlichen Samstagen bis 18 Uhr offenhalten. In diesem Jahr fällt der Goldene Sonntag mit dem Heiligen Abend zusammen. Daher dürfen auch die Lebensmittelgeschäfte auf Grund einer 1950 getroffenen Verordnung (Sonderregelung) am letzten Samstag vor dem Christfest (23. Dezember) nicht wie bisher lediglich von 9 bis 14 Uhr offenhalten, sondern sogar bis 18 Uhr. Zu allem kommt, daß die Fünftagewoche heute die typische Arbeitswoche der nichtbäuerlichen Berufe geworden ist und daher bereits an den Vormittagen des Samstag ausreichende Einkaufsmöglichkeiten für die Massen der Werktätigen gegeben sind.

Mehrkosten, Leerkosten

Während die Einnahmeseite insgesamt für alle Betriebe des Einzelhandels durch das Offenhalten an den zwei Sonntagen der vorweihnachtlichen Zeit keine Änderung erfährt, ist anderseits der zusätzliche Verkauf auch an Sonntagen mit Mehrkosten verbunden, die höher sind als bei einer Verlängerung der Verkaufszeiten an Wochentagen, ist doch die Sonntagsentlohnung relativ über jener für an Wochentagen geleistete Überstunden. Da den Mehrkosten kein vermehrter Absatz entspricht, haben die zusätzlichen Kostenteile den Charakter von Leerkosten.

Die angestellten wirtschaftlichen Erwägungen sind freilich nicht für alle Betriebe des Einzelhandels gültig, sicher nicht für einzelne Großbetriebe, vor allem Warenhäuser und Betriebe, die im unmittelbaren Bereich der Schaugassen gelegen sind, also einen absatzgünstigen Standort haben. Anderseits kann nicht verstanden werden, warum im Interesse einiger Großbetriebe zu Lasten der anderen Betriebe eine Verkaufstradition aufrechterhalten werden soll, die heute als asozial angesehen wird und auch unserer Auffassung vom christlichen Sonn-

tag, die durch die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte geläutert wurde, widerspricht. Wenn schon der Sonntag zu einem Rummeltag geworden ist, soll er in der unmittelbaren Zeit vor Weihnachten nicht auch noch ein Tag des Verkaufsrummels werden.

Bei Wegfall der Einrichtung des Silbernen und des Goldenen Sonntags können, wie oben angedeutet, die kleinen oder die absatzgünstig gelegenen Händler nur gewinnen, steht doch die zusätzliche Kostenlast, die ihnen an den zwei Sonntagen aufgebürdet wird, in keinem Verhältnis zu den erzielten Umsätzen.

Niemand wird einer mechanischen Regelung, einem absoluten Verbot der Sonntagsarbeit das Wort reden. Gerade dann nicht, wenn es um die Darbietung von elementaren Versorgungsdiensten geht, wie sie der Handel in bestimmten Gütern (Konditorwaren, Zeitungen) oder überhaupt in entlegenen Gebieten zur Verfügung stellt. Es gilt lediglich, eine überholte Tradition als sachlich falsch und als Widerspruch zur Auffassung vom Sinn des Sonntags zu erklären.

Wenn man die befürwortenden Stellungnahmen liest, kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, daß es vielfach lediglich um Prestigefragen geht, deren Erfüllung ohnedies nur mehr einer kleinen Gruppe ausgewählter Betriebe kommerziellen Nutzen bringen würde. Volkswirtschaftlich gesehen, bringt daher — wenn wir von allen anderen Gesichtspunkten ab- sehen — das Beibehalten der verkaufsoffenen Sonntage vor Weihnachten keinen Nutzln, sondern lediglich zusätzliche Kosten; sie müßten schließlich wieder von den Konsumenten getragen werden, denen angeblich die Sonderregelung „dienen" soll.

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