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Ein heiliges Recht

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Wollen wir in Österreich die unsozialen Unternehmungen der Hitlerzeit wiederholen? Die Frage ist unliebsam aktuell. Unter der Verantwortung des Herrn Ministers für Energiewirtschaft werden der Bevölkerung Beschlüsse des Direktoriums für Energieverteilung mitgeteilt, die außer einigen strengen, bindenden Maßnahmen für Stromersparungen allen Industriebetrieben — auch den einschichtig arbeitenden Klein-und Mittelbetrieben — dringendst nahelegen, zunächst freiwillig nach eigenem Ermessen unter anderem „zur besseren Ausnützung des am Wochenende anfallenden Wasserkraftstromes den Ruhetag auf einen anderen Tag der Woche als auf den Sonntag, beziehungsweise bei Betrieben mit fünf Arbeitstagen pro Woche, den Ruhetag auf andere Tage als Samstag und Sonntag zu verlegen.“ Da nach den begleitenden Erklärungen angenommen werden muß, daß die österreichische Energiewirtschaft noch geraume Zeit mit Unregelmäßigkeiten zu rechnen hat, werden offenbar nicht einmalige, kurz vorübergehende Maßnahmen, sondern für längere Zeit völlige Umstellungen der Arbeitsordnung nahegelegt. Es wäre schon schlimm genug, wenn einzelnen Unternehmern solche freiwillige Verfügungen gegen die Sonntagsruhe zustünden. Die Verlautbarung des-Herrn Ministers Dr. Altmann geht jedoch noch weiter: sie unterstreicht ihr dringendes Begehren nach solchem Vorgehen der Unternehmer mit dem unmißverständlichen Beifügen, daß „sonst die Notwendigkeit tiefgreifender zwangsweiserEinschränkungen besteh t“. Mit Dank muß man die Offenherzigkeit zur Kenntnis nehmen, mit der hier die Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt wird, daß man im Ministerium für Energiewirtschaft die Beseitigung der Sonntagsruhe für den größten Teil der Industrie zunächst der Unternehmerschaft zuschieben und allenfalls ihre zwangsweise Beseitigung in Aussicht jnehmen müßte. Wollte man andere Auskunftsmittel anwenden, so würde man diese und nicht zunächst die freiwillige Beseitigung des sonntäglichen Ruhetages vorgeschlagen haben.

Mit der Begründung rüstungsbetrieblicher Erfordernisse wurde ein ganz ähnlicher Angriff auf die Sonntagsruhe schon von den nationalsozialistischen Machthabern unternommen. Er ist bereits in den Anläufen mißlungen. Dem Herrn Minister für Energiewirtschaft wird vermutlich mehr als dieses Beispiel das sowjetrussische vor Augen schweben, das auch keinen Sonntag kennt.

Es soll kein Mißverständnis darüber geben, daß der ganzen christlichen Bevölkerung das Recht auf die Arbeitsruhe am Sonntag ein heiliges Recht ist und sie jede Verkürzung dieses Rechtes, erst recht die Verwandlung des Sonntags in einen Arbeitstag, als eine schwere Verletzung des religiösen Bewußtseins empfinden und auch so beantwortet werdfen wird. Wer durch die Beseitigung der Sonntagsruhe den christlichen Mitbürger an d^r Ausübung seiner religiösen Pflichten behindert, vergreift sich an der Gewissensfreiheit, diesem Grundgesetze jeder neuzeitlichen Verfassungseinrichtung.

Aber vielleicht darf man den Urhebern jenes Planes nicht das Einfühlungsvermögen zumuten, was für den gläubigen Christen die Sonntagsheiligung bedeutet. Doch nicht unbekannt kann es ihnen sein, daß die Sicherung der Sonntagsruhe zu den wesentlichen Bestimmungen des Arbeiterschutzes gehört. Seit mehr als einem halben Jahrhundert bildet das Sonntagsruhegesetz eine der fundamentalen Errungenschaften des österreichischen Sozialrechtes. Die Gewerkschaften haben es mit Argusaugen gehütet. So unerbittlich war die Verteidigung der Sonntagsruhe durch die industrielle Arbeiterschaft, daß es bis zum Beginn des ersten Weltkrieges auch noch so begründete Ausnahmen in Einzelfällen fast niemals gab. — Die Gewerkschaften wußten, was mit der

Sonntagsruhe auf dem Spiele steht. Der Sonntag soll dem freien Manne, seiner Familie, seiner Geselligkeit gehören. Niemand außer den Seinen haben an diesem Tage ein Recht auf ihn und niemand anderer soll über diesen Tag verfügen können; er gehört ihm als sein gesetzliches unantastbares Recht. Der Sonntag ist der Tag, an dem der Arbeiter sichtbar als Gleichberechtigter in der Gemeinschaft steht, deren Kennzeichen dieser gemeinsame Tag der Ruhe und der Pflege menschlicher Zusammengehörigkeit ist. Der Gedanke an eine Arbeiter- und Angestelltenschaft, ausgeschaltet aus dem Ruhetag der Gemeinschaft, ist unerträglich. Die Sonntagsruhe bestimmt den Lebensrhythmus unseres Volkes, sie kann nicht durch irgendeinen anderen freien, von Unternehmern oder Behörden zu bestimmenden Tag ersetzt werden.

Der ministeriellen Verlautbarung haftet aber noch ein drittes Merkmal an, das ihr Zustandekommen, bisher schon seltsam genug, noch rätselhafter macht. Sie gibt eine mindestens irreführende, wenn nicht rechtswidrige Aufforderung aus, wenn sie alle über 5000 Kilowattstunden verbrauchenden Betriebe in Österreich bestimmen will, die Arbeitsruhe des Sonntags auf einen Wochentag zu verlegen und dabei den Eindruck erweckt, als vermittle sie eine generelle Aufhebung der gesetzlichen Umfriedung der Sonntagsruhe und als erlaube sie jedem Unternehmer, nach seinem Belieben einen anderen Ruhetag zu bestimmen. Die Sonntagsruhesesetze vom 16. Jänner und 28. April 1895 und vom 18. Juli 1905 sind nach wie vor in Kraft und kein Energiewirtschaftsminister und keine Energieverteilungsdirektion hat auch n u r i m entferntesten das Recht, von ihren eindeutigen Bestimmungen zu dispensieren.

Außer diesen Gesetzen sind noch aus der Zeit der Hitlerherrschaft einzelne arbeitsrechtliche Verordnungen in Geltung, die erlauben, daß von Fall zu Fall und auf besonderes Einschreiten einzelnen Industrien die Erlaubnis auf Sonntagsarbeit erteilt werden kann, jedoch nur bei Gewährung einer 100prozentig.cn Erhöhung des Arbeitslohnes. Würden Verlegungen einer Wochentagsarbeit auf Sonntag gestattet, so würde dies also in allen Betrieben mit sechs Arbeitstagen eine Erhöhung der Lohnausgaben um ein Siebentel, in solchen mit fünftägiger Arbeitswoche über ein Sechstel bedeuten, eine Verteuerung, die alle bisherigen Preiserstellungen stürzen und der Teuerung einen neuen Anstoß geben müßte.

Man fasse es an, wie man es will: Die praktische Aufhebung der Sonntagsruhe in der Industrie, wie sie der Plan des Ministers und der Direktion der Energiewirtschaft in Aussicht nehmen möchte, hieße die arbeitsrechtliche Ordnung erschüttern und die wirtschaftliche aufs neue beunruhigen. Ganz klar muß es sein: Es könnte nicht nur eine generelle Aufhebung der Sonntagsruhe, sondern sinngemäß auch ihre Suspendierung für eine große Zahl von Betrieben nur durch einen neuen Gesetzesbeschluß und nicht aber durch „zwangsweise Einschränkungen“ der Administrative geschehen.

Kein Billigdenkender wird verkennen, daß die Aufgaben der staatlichen Verwaltung in der Gegenwart überaus hart sind. Eine fast noch schlimmere Lage haben vor fünfundzwanzig Jahren Bundeskanzler Dr. Seipel und seine Mitarbeiter gemeistert. Was damals gelungen, wird diesmal wieder gelingen. Auch heute, da wir das dritte Pfingstfest in einem Frieden feiern, der noch kein Frieden ist und die Niedergeschlagenheit darob über dem Erdkreis wie der Schatten eines riesenhaften, furchteinflößenden Etwas dunkelt, bedarf das Vaterland der bereitwilligen Mithilfe und der vertrauensvollen Zuversicht, des Mitgehens und der Mithilfe der Bevölkerung am Staate, ja der Mithilfe jedes einzelnen sogenannten kleinen Mannes, der mit seiner vieltausendfältigen Gemeinschaft ein sehr großer ist. Da es aber so ist, erspare man ihm überstürzte Ankündigungen von Verwaltungsexperimentcn und schon gar solche von unerlaubten.

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