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Planwirtschaft vor Tauwetter?

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PLAN UND MARKT IM SOZIALISMUS. Von OU S 1 k. Aus dem Tschechischen Übertragen Von Ingrid Kondrkova. Verlag Fritz Molden. Wien. 384 Seiten. S £85.—.

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PLAN UND MARKT IM SOZIALISMUS. Von OU S 1 k. Aus dem Tschechischen Übertragen Von Ingrid Kondrkova. Verlag Fritz Molden. Wien. 384 Seiten. S £85.—.

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Nach der auch deutsch erschienenen Broschüre Prof. Ota Šiks „Die tschechoslowakische Wirtschaft aui neuen Wegen“ (Prag 1965) greift man nach dem neuen Buch Šiks mit großem Interesse. Šik gehört ebenso wie Nyers in Budapest und Libermann in Charkow zu jenen Reformern in den sozialistischen Ländern, die als Pioniere auf eine Umgestaltung der Planungsmethoden, auf die Berücksichtigung der Kostenrechnung und der Ertragsgesetze und auf die Benützung von Markt und Preis als Orientierungstafeln auch in einer Planwirtschaft hindrängten. Ausgelöst wurde diese Bewegung durch die Mißerfolge der letzten Pläne vor 1959. Mit steigender Güterversorgung zeigte es sich, daß die rein quantitativen Planziele nicht zur optimalen Steigerung des Konsums führen können. Nur um die vorgeschriebenen Zahlen zu erfüllen, wurde im Maschinenbau Material verschwendet, in der Konsumgüterindustrie Kleider- und Schuhgrößen erzeugt, die dann in den Warenhäusern liegen blieben. Anstatt die Pläne von oben nach unten zu diktieren, sollen nunmehr auch von unten die Impulse von der Nachfrageseite her kommen, um die Planai f fern zu erstellen.

Wenn man nun in dem Buch Šiks Einzelheiten über diese neuen Planungsmethoden und vor allem über deren bisherige Erfolge zu erhalten hofft, wird man enttäuscht. Die Tendenz dieses Buches geht dahin, die neuen Planungsmethoden mit den Grundsätzen der marxistischen Wert- und Geldtheorie in Einklang zu bringen. Es waren falsche Auslegungen des Begriffes der gesellschaftlichen Arbeit und des Meßwertes dieser Arbeit, des Geldes, die zu den Irrtümern in den früheren Planungsmethoden geführt haben. Diese Fehlmeinungen zu korrigieren, ist das Hauptanliegen des Buches.

Für den westlichen Nationalökonomen ist es nicht leicht, dieser ungewohnten Terminologie zu folgen — vielleicht ebenso schwer, wie für die Ökonomen der Oststaaten, die Modelle der heutigen angelsächsischen und skandinavischen Ökonomie zu studieren. Das liegt an der Verschiedenheit der Wirtschaftssysteme. Profit ist nicht unser Einkommen, Produktionspreise sind nicht unsere Werkpreise, Abführungen von Ertrag in den Produktionsfonds sind nicht Steuern in unserem Sinne, das Bruttoeinkommen nicht das Sozialprodukt. Noch verwirrender werden die Begriffe und die Terminologie im Abschnitt über „das Geld im Sozialismus“. Bekanntlich war schon im „Kapital“ der Abschnitt über das Geld ein schwacher Punkt, da die Beziehung zwischen Goldpreis und Arbeitswert nicht ersichtlich ist. Marx war dennoch Metallist. Wie viel schwieriger aber ist es heute, diese Begriffe an das seit 1867 völlig veränderte Geldsystem der heutigen Wirtschaft anzupassen. Die Entstofflichung des Geldes und die Rationalisierung des Zahlungsverkehrs haben Verhältnisse in diesem Sektor geschaffen, die eine ganz neue Theorie verlangen. Auch in der westlichen Nationalökonomie ist gerade die Geldtheorie ein vernachlässigtes Kapitel.

Konkret wird das Buch in der Darstellung der Marktbeziehungen im Sozialismus und der Funktion der Preise in diesem Wirtschaftssystem. Am meisten aber nimmt einen der Abschnitt über den Außenhandel gefangen. Hier entwirft Šik Perspektiven, in welchen die Importe einmal zu Instrumenten der Korrektur der innerwirtschaftlichen Preisbildung werden und das Geld konvertibel wird. Das liefe aber auch auf eine völlige Änderung in der Praxis des Außenhandels und des Zahlungsverkehrs der sozialistischen Länder hinaus.

Zum Schluß warnt Šik vor dem Fehlschluß, aus den Reformen, die heute in den Oststaaten im Gang sind, würde sich ein Wirtschaftssystem entwickeln, das zum Kapitalismus zurückführt. Markt unc Preis sind nicht Elemente einer bestimmten Wirtschaftsordnung, sic sind system-neutral. Sie könner auch in die Planwirtschaft als Richttafeln eingebaut werden, ohne das System zu sprengen. Šik kritisiert besonders den Artikel in Sweezys Monthly Review: „Friedlicher Übergang vom Sozialismus zum Kapitalismus.“ Er fügt hinzu; „Das sind total spekulative abstrakte Behauptungen, die nur die in der Stalinschen Ära des marxistischen Denkens entstandenen und die Entwicklung der sozialistischen Wirtschaft ungemein schädigenden ideologischen Dogmen konservieren und verstärken“ (S. 356).

Der Wert der Veröffentlichung Šiks liegt darin, daß sie uns die Struktur und die Funktionen der sozialistischen Wirtschaft in ihrem heutigen Entwicklungsstadium verstehen lehrt. Sie befreit damit auch uns von „ideologischen Dogmen“ über die Unmöglichkeit einer Planwirtschaft und über den Wert der allein seligmachenden Marktwirtschaft.

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