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Wir sind ja abgebrüht mit Klerikal-Nostalgie, wenn wir wie wild auf die Zeit im Bild sind und dafür und davor die Turnübungen des Werbe-Zeitgeists zu sehen verdammt sind. Glockenklang und verfremdetes Halleluja sind schon verdächtig. Und da rennt er schon, der Pfarrer in Soutane und Birett, gierig nach Auto, Nudeln oder Zuckerln. Ein ganzer geistlicher Schwesternchor stürmt mit Pizza-Appetit heran. So heil wie in der Werbung ist die Kirche nie. Die Erfinder dieser Spots müssen einst glückliche Ministranten gewesen sein. Nehmen wir's gelassen und beklagen wir uns nicht, daß die Kirche nicht vorkommt im Alltag. Und seien wir froh, daß Benetton uns nicht eines Tages unseren berühmtesten Kardinal im Gram-Look als Zugeständnis an die Gegenwarts-Problematik zeigt.

Andere Länder, schlechtere Sitten! "Fahre dich in Versuchung!" textete Nissan - und Volkswagen erlag in Frankreich derselben in biblischem Konkurrenzeifer. "Freuet euch, ein neuer Golf ist geboren!" verkündete ein in die Abendmahls-Szene von Leonardo da Vinci einmontierter Werbe-Jesus. Recht bibelfest sind die Golf-Verkäufer freilich nicht, denn sonst müßten sie wissen, daß die abgekupferte Freuden-Botschaft nicht beim letzten Abendmahl gesprochen wurde. Authentischer müßte es heißen "Einer von euch wird mich verraten!", aber Judas hat sich bekanntlich mit seinen Silberlingen keinen VW-Golf gekauft.

Der französische Episkopat in dem säkularisierten Land ließ sich die verfremdete Auto-Predigt nicht gefallen. Bischof Lagoutte, Generalsekretär der Bischofskonferenz, protestierte gegen den Unfug und klagte die Werber auf 2,5 Millionen Franc (umgerechnet zirka fünf Millionen österreichische Schilling). Am 25. Februar wird verhandelt. Freuet euch, da hat einer Courage! Der von der EU ohnehin gebeutelte VW-Konzern ließ indessen verlauten, daß das eingeklagte Sujet von den französischen Generalimporteuren in Eigenverantwortung kreiert worden sei und VW sich in anderen Ländern nicht an der Bibel vergreifen wolle.

In deutschen Landen sind indes die Hüter heiligen Worts - allerdings evangelischer Konfession - auch nicht gerade werbezimperlich. Ein grober Klotz muß auf den groben Keil. So dachte Medienpfarrer Fischer und Dekan Wittekindt und ließen in Kassel einen Kino-Vorspann produzieren, der die Jugend ansprechen sollte, aber das gesamte Publikum schockte. Man stelle sich vor: Eine Piercing-Nadel durchsticht eine Brustwarze in Großaufnahme, damit da ein kleines Silberkreuz daran baumeln kann. Ein Tätowierer ritzt ein Kreuz in den Unterarm eines jungen Mannes. Und einer Frau werden die Haare abgeschnitten und auf den Hinterkopf wird ein Kreuz tätowiert. Diese brutalen Mode-Gags sind der Jugend-Szene abgeschaut. Das ist härtere Kost als unsere biederen geistlichen Pizza-Esser. Dokumentiert wird damit, daß das aus den Schulzimmern verschwundene Kreuz immerhin in wesentlich verschärfter Form noch vorhanden ist. "Wo hat das Zeichen seine Heimat?" fragt zum Schluß eine Stimme aus dem Out. Wer es wissen will, ist zu einer Party der Evangelischen Jugend eingeladen.

Ob bei den Beschauern dieser Szenen nicht die Befürchtung überwiegt, im christlichen Party-Heim freiwillig oder unfreiwillig tätowiert oder gepierct zu werden, sei dahingestellt. Bewiesen ist, daß das, was die progressiven Filmemacher können, die christlichen Medienapostel auch können. Vielleicht liegt da auch eine Botschaft für uns drin, die wir uns an das Schand- und Marterholz als Raum- und Brustzierde schon so gewöhnt und bequemt haben.

Die Kunst macht uns die Ästhetik des Grausamen und Chaotischen schon die längste Zeit vor. Der gemütliche Österreicher hat sich zwischen Schulterzucken und Wegschauen längst daran gewöhnt.

Im Kino- oder Wohnzimmersessel giert der Mensch nach neuen Reizen. Besteht zwischen delikaten Nudeln und Kreuz-Tatoo überhaupt noch ein Unterschied?

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