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Die Wende

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Das klassische liberale und das kollektivistische Denken gehen im Wesen von gemeinsamen Denkansätzen aus und sind offensichtlich in ihrer Entwicklung konvergent. Sie gehen beide vom innerweltlichen Pragmatismus aus, für den alles Leben nur auf den Zweck und auf das Leistungergebnis bezogen ist; sie nehmen ferner ihren Ausgang ▼on den Positionen eines Panökonomis- m u s, dem alle Wirklichkeit in ökonomischen Quantitäten gegeben ist. Alles geschicht- bestimmende Handeln wird auf Verhaltensweisen reduziert, die im Oekonomischen und im Konsumbegehren grundgelegt sind.

Die Wirtschaft ist derart ihr eigener Gesetzgeber. Die Gesellschaft wird lediglich als Wirtschaftsgesellschaft verstanden und ist kein vollendetes und gewachsenes Ganzes, sondern eine Summe von je für sich spontan und ausschließlich eigenverantwortlich handelnden einzelnen. Wenn die Verbindung der einzelnen doch als Ordnung ausgeformt wird, dann nur vermöge einer prästabilierten Harmonie, die auf dem Wettbewerb aufruht. Das heißt Denken in den Annahmen eines deisti- schen Optimismus. Das sozialökonomische Geschehen wird, da eigengesetzlich, als eine Naturtatsache hingenommen, wenn man sich auch vorsorglich bemüht, in der Praxis vermittels des.Faktors „Macht“ diese Eigengesetzlichkeit im Interesse der Profitmehrung zu berichtigen.

Für den Kollektivismus ist ferner die gegenwärtige Wirtschaftsgesellschaft — und nur mit ihr ist er beschäftigt — eine Häufung Von gesellschaftlichen Großgruppen, die, in einem naturnotwendigen Gegensatz, durchweg aus den Gesetzen dieses latenten Gegensatzes heraus handeln müssen. Wird das gesellschaftliche Handeln ausschließlich als ökonomisches Handeln verstanden, so heißt das, alles Verhalten vofn Prinzip des Egoismus bestimmt sehen, der zur Würde einer Kardinalstugend und zum Motor des gesellschaftlichen Geschehens erhoben wird.

Gleichzeitig wird die Wirtschaft nicht als eine „m oralische Anstal t“ gesehen. Es ist ihr nur aufgegeben, größtmögliche Erträge im Interesse derer zu erzielen, die jeweils an der Macht sind, sei es privater Monopolisten oder politischer Eliten.

Beide Systeme sind in Gestus und Formulierung ihres Pathos vom Phänomen d e r F r e i heit gestaltet. Dabei wird unter Freiheit nicht eine allgemeine Freiheit verstanden, sondern ein Abstraktum. Als Realität ist die Freiheit, wenn auch in besonderer Form, ein Vorbehalt von Privilegierten, beileibe keine allgemeine Chance, sich so zu verhalten, wie es der Grundrichtung eigenen Wesens entspricht. Daher hat die Freiheit da, wo sich der klassische Liberalismus in der ge sellschaftlichen Ordnung durchzusetzen vermochte, keine institutioneile Sicherung. Für die Gegenwart weise ich auf die Kartelldiskussion in Westdeutschland hin. Freiheit, das heißt also ein Benefiz der Eiiten, der dem Liberalismus wie der dem Kollektivismus verpflichteten Bourgeoisie. Das zeigt sich im Alltag etwa darin, daß die Eliten sich anmaßen dürfen, zu konsumieren ohne verhalten zu sein, im Maß des Verzehrs produzieren zu müssen.

Auf diese Weise kommt es zur Privatisierung der Freiheit, die in einer säkularen Begriffsverschiebung zu einem anderen und besser geeigneteren Wort für Macht und Tyrannis wird. Orthodoxer Liberalismus und Kollektivismus sind, auf lange Sicht gesehen, geschichtlich gebundene Erfahrungsweisen, und Wirklichkeiten, gestaltet von den gleichen Grundideen.

Das orthodox-liberale Denken hat, als ein schichttypisches Denken, seine stärkste Ausformung in der Gesinnung der dominanten Schichten des Hochkapitalismus gefunden, jener Entwicklungsform der Erwerbswirtschaft, deren Relikte heute, wenn auch scheinbar politisch entmachtet, an vielen Orten fröhliche Urständ feiern dürfen urld etwa im Bereich der romanischen Völker eine ungeheuerliche anmaßende Despotie aufgerichtet haben.

Im Zentrum dieses liberalen Denkens steht die Annahme von der substantiellen Güte des Menschen. Weil der Mensch gut ist, handelt er vernünftig, und weil er vernünftig handelt, bewegt sich sein Verhalten in der Richtung des allgemeinen Interesses. Tatsächlich aber ist der aller Bindungen ledige homo oecono- micus lediglich daran interessiert, seinen Profit zu maximieren. Das ohne Bedachtnahme auf die vorweg soziale Funktion des von ihm verwalteten Eigentums und auf das Faktum der Einordnung des Menschen, und es sei ihm noch so viel Macht gegeben, in das Ganze der Gesellschaft. Aus dem Willen der an der Macht Befindlichen, ihr Einkommen zu sichern und zu steigern, ist die Zielvorstellung der sogenannten „Freien Wirtschaft“ entstanden, eines von allen Bindungen freigefegten Aktionsfeldes ökonomischen unternehmerischen Handelns. Angesichts geschichtlicher Erfahrung dürfen wir uns aber erlauben, zu sagen, daß das, was man „Freie Wirtschaft“ nennt, ein für wissenschaftliche Untersuchungen ungemein brauchbares Modellgerüst darstellt, aber nicht mehr. Das Verlangen, das zu sichern, was man so ohne Bedenken „Freie Wirtschaft“ nennt, ist ohne Wirklichkeitbezug und wahrscheinlich eine Ueberforderung. Tatsächlich geht es den Befürwortern dieser Wirtschaftsund Marktform darum, einen ungebundenen menschlichen Erwerbtrieb zu rechtfertigen.

Die Wirtschaftsgesellschaft des alten Libe ralismus ruht nun auf den beiden Institutionen der Vertragsfreiheit und des Privateigentums.

Vertragsfreiheit sollte wohl eine Gleichmacht der Vertragsparteien bedeuten, zumindest im Prinzip. In der Wirklichkeit des Wirtschaftslebens erweist sich aber die Vertragsfreiheit als eine Möglichkeit, wenn an der Macht befindlich, diese durch die Rechtsordnung gedeckt zu nützen. So ist die Freiheit des Wettbewerbes von den Vertretern des Wettbewerbsgedankens durch einen Komplex von Bindungen und Verflechtungen faktisch weitgehend aufgehoben worden. Vor allem, weil man geflissentlich übersah, daß es nicht nur ein Recht auf Wettbewerb, sondern auch eine Pflicht zum Wettbewerb gibt.

Das Privateigentum ist eine Institution, dazu bestimmt, die Güter dieser Welt bestens und zum allgemeinen Wohl zu nutzen. Weithin ist aber das Eigentum an den Produktionsmitteln zur Institution einer Tyrannis der Eigentümer geworden. Der Arbeitsmensch wurde, weil nicht Eigentümer, zum Maschinenzubehör abgewertet, dem man nur so viel an Lohn zu geben bereit ist, als er sich zu erkämpfen vermag. In der Zeit des Hochkapitalismus galt für die Lohnrechnung das Gesetz des Dschungels.

— In einem unleugbaren Prozeß der allgemeinen Akkumulation von Kapital kommt es zur Depossedierung von Klein- und Mitteleigentümern und zur Konzentration des Kapitals an bevorzugten Standorten des Wirtschaftsprozesses. Dadurch aber wird der unternehmerische und betriebliche Prozeß entmenschlicht; Die weitere Folge ist die Anonyfnisierung des betrieblichen Leistungsvollzuges und seine Distanzierung von der

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