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Zeit und Zukunft

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„Religion und Wissenschaft: Die Verbindung der beiden Seiten oder Phasen eines einzigen vollständigen Erkenntnisaktes — des einzigen, der Vergangenheit und Zukunft der Evolution zugleich umfaßt, um sie zu betrachten, zu messen und zu vollenden.“

(P. T. de Chardin, „Der Mensch im Kosmos“, München, 1959, S 280.—.)

Seit es eine systematische, emotions- und werturteilsfreie Wissenschaft gibt, ist der gläubige Christ permanent mit dem Theorem konfrontiert, daß der Offenbarungsglaube erst da einsetzen könne, wo die (Natur-) Wissenschaft aufhört1. Glaube und Wissenschaft sind daher scheinbar zwei verschiedene und in keinem Entsprechungsverhältnis stehende Bereiche.

Der legitime Bereich der wissenschaftlichen Forschung ist das Endliche. Im Fall der Physik kann dieses Endliche durch sinnliche Wahrnehmung (empirische Analysen), „verlängert durch eine technische Apparatur“1, erkennbar gemacht werden.

Der Beginn der Forschung ist die Setzung von Hypothesen, Annahmen, daß bei den vom Forscher angegebenen Bedingungen bestimmte Konsequenzen erwartet werden können. In einem letzten Endes doch höchstpersönlichen und daher verwissenschaftlichen Entscheidungsakt wird in der jeweiligen Hypothese festgelegt, welche Beobachtungen zu machen sind’. Die Beobachtungen sind dann jene einzelnen Fälle, an deren meßbarer Augenscheinlichkeit die Annahmen einer Hypothese verifiziert oder falsifiziert werden. Die Wissenschaft kann also sowohl in den Bezügen ihrer Untersuchung als auch in ihren Ansprüchen auf Annahme ihrer Erkenntnisse nur im Meßbaren, im Endlichen, lokalisiert sein.

Wenn nun Wissenschaftler die Gültigkeit ihrer Erkenntnisse absolut setzen und diese etwa als einen Katalog von Lebenshilfen erklären, die in allen Lebenssituationen praktikabel sind, haben sie zu diesem Anspruch keine Legitimation. Auch (oder gerade) dann nicht, wenn sie ihre Wissenschaft als vorweg „transzendent“ deklarieren und in ihr eine Antithese zu einer ohnedies nur als raumzeitliches Phänomen erkannten Religion erklären, als Gegenreligion, die an eine geschichtliche Erscheinungsweise von Religion gebunden ist4.

Wissenschaft bleibt Wissenschaft

Es ist also nicht die Aufgabe einer oder gar der Wissenschaft, etwa die Existenz Gottes zu widerlegen oder zu beweisen, weil es sich in diesem Fall um einen „Gegenstand“ handelt, der im Sinn der Wissenschaft weder erfahrbar noch auch widerlegbar ist. Das schließt aber nicht aus, daß beispielsweise wissenschaftliche Er- kenntnise für die Theologie die Qualität eines Gottesbeweises und insoweit instrumentalen Charakter haben.

Welchen Gegenstand eine Wissenschaft im einzelnen auch immer hat, will sie Wissenschaft bleiben, kann sie weder gläubig noch ungläubig, sondern nur eine Methode zur Erforschung von Wirklichkeiten sein, eines „Diesseits in unserer Mitte“, das sich in einem von der Wissenschaft transparent zu machenden innerweltlichen Kausalnexus befindet. Das „Diesseits" als ein jeweils Besonderes ist stets ein aus methodischen Gründen begrenztes Materialobjekt, das unter den Aspekten eines wissenschaftlichen Rationalismus abgebildet und in Form nachprüfbarer kognitiver (auf Erkenntnis zielender) Sätze gefaßt werden soll. Objektiv-wissenschaftlich ist (oder kann) dabei nicht das zu Erforschende oder das Erforschte (sein), sondern lediglich die Methode des Forschens.

Wissenschaft ist keine Substitution von Religion. Nicht selten geraten jedoch Wissenschaftler, auch wenn sie Agnostiker sind, in ein „verzücktes Erstaunen über die Harmonie der Naturgesetzlichkeit“ (Einstein), die in diesem Fall für sie einen ersatzreligiösen Charakter hat. Tatsächlich ist aber keine wissenschaftliche Theorie „sakrosankt“ (Popper), sondern stets ein Provisorium, preis- gegeben jeder ihr widersprechenden Erfahrung.

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