Schwäche in Stärke verwandeln

Werbung
Werbung
Werbung

USA: Mittel für modernste Technologien sind reichlich geflossen, vernachlässigt hat man dagegen den menschlichen Bereich.

Die koordinierten Angriffe auf das World Trade Centre in New York und das Pentagon in Washington waren zweifelsohne die bisher schrecklichsten Terrorakte. Es war freilich nicht das erste Mal, dass die US-Regierung völlig unvorbereitet getroffen wurde, betonte Clifford Beal, der Chefredakteur des angesehenen Jane's Defense Weekly (JDW), noch am Tag der Attacken.

"Das Thema der sogenannten asymmetrischen Kriegsführung - also des Einsatzes von terroristischen Methoden, um die Schwachstellen in westlichen Staaten anzugreifen - ist fast die gesamten neunziger Jahre hindurch die große Sorge der strategischen Planer in den USA gewesen", schreibt Beal auf der Internetseite des JDW. Wenn es für eine definitive Beurteilung möglicher Versäumnisse vor den jüngsten Terrorakten auch noch zu früh ist, so verweist Beal doch auf grundsätzliche Fehlorientierungen im Sicherheitssystem der Vereinigten Staaten. Als einen Faktor nennt er die Unterfinanzierung der "menschlichen Intelligenz" (HUMINT) im Vergleich zur "technischen Intelligenz". So seien zwar reichlich Mittel für Satellitenüberwachung sowie für Abhör- und andere modernste Technologien geflossen, vernachlässigt habe man dagegen den menschlichen Bereich, also linguistische und analytische Fähigkeiten, die Pflege von Agentennetzen und das generelle Fachwissen, das im Kalten Krieg eine vorrangige Rolle gespielt hatte. Gerade in einer Zeit, in der durch die technische Intelligenz ein derart gewaltiger Informationspool vorhanden sei, benötige man jedoch immer mehr Experten, die diese Datenmengen analysieren und Prioritäten erstellen können. "Um modernste Frühwarnsysteme einzurichten und die Art von Angriffen wie jüngst in New York möglicherweise vermeiden zu können, sollte es nun zu der seit langem nötigen Revision des US-Sicherheitsdienstes kommen", meint Beal.

Jane's hat in den vergangenen Jahren immer wieder auf die extreme Verwundbarkeit der USA und ihrer engsten Verbündeten hingewiesen. Während das Konzept der asymetrischen Kriegsführung nicht neu sei, gewinne es in der heutigen Zeit ständig an Brisanz. Denn Widerstands-und Terrorgruppen, die über keine Armeen im eigentlichen Sinn verfügen, würden verstärkt zu anderen Mitteln greifen, um ihre militärische Unterlegenheit wettzumachen und ein "ausgeglicheneres Kampffeld" zu schaffen. Unter diese Art der Kriegsführung fallen Guerillakampf und Terroranschläge, Informations- oder Cyberkrieg, aber auch der Einsatz chemischer, biologischer, eines Tages vielleicht auch nuklearer Waffen.

Auto statt Kampfjet

Jedes westliche Land könnte durch Angriffe auf seine lebensnotwendigen kommerziellen, militärischen, Regierungs- und Kommunikationseinrichtungen schwersten Schaden erleiden, warnten bereits vor einiger Zeit zwei Experten des Internationalen Zentrums für Sicherheitsanalysen (ICSA) am King's College in London. Für eine derartige Attacke würde "eine gut gebildete, gut ausgerüstete und engagierte Gruppe von weniger als 50 Personen ausreichen. Solch ein Angriff könnte im Vergleich zu den eingesetzten Ressourcen gewaltige Auswirkungen haben", betonten ICSA-Vizedirektor Kevin O'Brian und ICSA-Forscher Joseph Nusbaum. Den "traditionellen Waffenträgern" wie Kampfjets und Raketen stellen O'Brian und Nusbaum als alternative Trägersysteme "Koffer, kommerzielle Fahrzeuge oder Botendienste und öffentliche Transportnetze" gegenüber. Auch wenn sie die Entführung von Linienflügen und deren Einsatz als Waffen nicht vorhersehen konnten, so ergänzen sie ihre Liste von Trägersystemen doch mit "privaten Fahrzeugen in der Luft, zur See oder auf Land".

Die verheerendsten asymmetischen Angriffe auf zivile Ziele in Nordamerika, Europa und Japan hätten nie mit "militärischen Trägersystemen" stattgefunden, erinnerten sie in einer Analyse für JDW bereits vor knapp einem Jahr. Die beiden Experten betonten schon damals, dass man die Rolle des Humankapitals im Umgang mit dieser neuen Art der Bedrohung in keinem Fall vernachlässigen dürfe. Die besten System wie das Echelon, das pro Minute drei Millionen Fax-, Email- und Telefonnachrichten aufgreifen kann, würden allein wenig nützen. "Das Problem ist nicht der Mangel an Information; es besteht vielmehr darin, aus einem Ozean von elektronischem Müll die für die Sicherheit relevanten Informationen herauszuholen." So ermangele es beispielsweise an Arabisch-Übersetzern für die Sicherheits- und Geheimdienste, betonten O'Brian und Nusbaum.

Jane's, schreibt sein Chefredakteur am Tag nach den Angriffen in den USA, "hat beharrlich davor gewarnt, dass die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten die USA einer Gefahr aussetzen, die die größte seit der Raktenkrise in Kuba 1962, ja vielleicht überhaupt die größte seiner Geschichte sein könnte."

Nur der Anfang?

Erst eine Woche vor den Attacken hatte JDW darauf verwiesen, dass jene die in der Vergangenheit Terrorakte durchführten, weitere planen würden. Nun gehe die Sorge dahin, dass die Ereignisse vom 11. September nur der Anfang einer weitreichenden Kampagne asymmetrischer Kriegsführung gewesen sein könnten. Und die größte Gefahr bestehe wohl darin, dass extreme islamistische Grzppen eines Tages Zugang zu nuklearem Material erhalten und eine, wenn auch rudimentäre, so doch tödliche Waffe bauen könnten. Afghanistan, erinnert JDW, "liegt an der Grenze zur ehemaligen Sowjetunion, deren Nachfolgestaaten ohne jeden Zweifel über die am wenigsten gesicherten Lager von waffenfähigem Atommaterial verfügen."

Die Autorin ist Journalistin in London.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung