Wer klopfet an? – Herbergssuche bleibt schwierig

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Die vergebliche Suche nach Unterkunft verleiht der Weihnachtsgeschichte erst Dramatik und Aktualität bis heute. Doch anders als in der Gegenwart macht die Bibel Flüchtlinge und Migranten zur auserwählten Elite.

Peter Henisch lässt in seinem jüngsten Roman „Der verirrte Messias“ den Protagonisten der Frage nachgehen: „Warum Josef, wenn er doch aus Betlehem stammte, nicht bei irgendwelchen Verwandten Zuflucht suchte?“ Berechtigte Frage. Henisch vermutet, dass Gerüchte über die nicht ganz koschere Schwangerschaft seiner Verlobten Josef von Verwandtenbesuchen Abstand nehmen ließen. Doch wer oder was auch immer Schuld an der Jesus-Geburt im Stall hatte – die Angst vor der Mischpoche oder römische Bürokratie –, es lieferte den Anlass für das schönste biblische Motiv: „Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“

Der Solidaritätsappell, der mit Weihnachten einhergeht, verdankt sich diesem Satz. Dass die harten Herzen einmal im Jahr weich werden und wenn schon nicht die Türen ihrer Häuser, so doch wenigstens ihre Geldbörsen ein Stück weit auftun, hat ebenfalls mit diesem Katalysator für schlechtes Gewissen zu tun. So wie die erfolglose Herbergssuche als warnende Metapher für den Umgang mit Flüchtlingen, Migranten und Fremden generell Verwendung findet.

Nicht ganz zu Recht. Denn hält man sich an die biblische Schilderung, dann schuldet sich die Geburt im Stall den Kapazitätsgrenzen der Betlehemer Beherbergungsbetriebe und fehlender Solidarität mit Einheimischen in einer Notsituation, aber nicht der Ablehnung von Zugewanderten. Erst die Fortsetzung der Jesus-Biografie würde dazu Material liefern: Die Flucht der heiligen Familie nach Ägypten, um dem um seine Macht fürchtenden, blutrünstigen Tyrannen Herodes zu entrinnen. Bis auf die Erwähnung dieses Umstands hüllt sich der Evangelist Matthäus darüber aber in Schweigen.

Der Sesshafte ist der Bibel suspekt

Mehr Details braucht es jedoch gar nicht. Jesus als Flüchtling zu stempeln genügt, um ihn in eine Reihe mit den ganz Großen in der Erlösungsgeschichte zu stellen. Das zeigt den größten Unterschied zwischen dem biblischen Denken und gegenwärtigen Wertmaßstäben: Der Sesshafte ist der Bibel suspekt. Der Auswandernde, der Flüchtling, der Gejagte und Verfolgte ist auf dem richtigen Weg – und Gott mit ihm und ihr: Abraham, Lot, Jakob, Mose, Mirjam, Rut, David … Wer es im Heilsplan zu etwas bringen will, muss unterwegs sein. „Mein Vater war ein heimatloser Aramäer“, heißt es stolz über das Volk Israel in Ägypten.

Ägypten und seine sprichwörtlichen Fleischtöpfe – die große Anziehungskraft dieses Landes für die Menschen in biblischer Zeit lässt sich zweifellos mit der Attraktivität Europas oder Nordamerikas für die Menschen in den Armutsgegenden der heutigen Welt vergleichen. Und so wie sich EU und USA gegen illegale Einwanderung zu schützen versuchen, sind auch für das Ägypten des Jahres 2100 vor Christus schon Mauern zur Abwehr der „elenden Asiaten“ bekannt: „Ich erreichte die Mauern des Herrschers, die gemacht worden sind, um die Nomaden abzuwehren, um die Sandläufer niederzuschlagen“, heißt es in einem Brief an den Pharao.

Klimaflüchtlinge vor 4000 Jahren

Das biblische Volk Israel treibt eine Hungersnot nach Ägypten – heute sagt man Klimaflüchtlinge dazu. Die Josefsgeschichte erzählt von der Gunst des Pharaos und über eine wohlgesonnene Aufnahmegesellschaft. Auch außerbiblische Belege bestätigen den für Ägypten in allen Phasen seiner antiken Geschichte charakteristischen „Menschenhunger“.

Doch plötzlich passiert eine Wende, die Bibel erklärt sie mit einem Pharao- sprich Politikwechsel. Die Migranten werden jedenfalls drangsaliert, während die Einheimischen beginnen, sich vor den lange im Land lebenden „Fremden“ und vor allem vor ihrer Gebärfreudigkeit mehr und mehr zu fürchten. Assimilation lehnen die religiösen Hebräer ab, Integration lassen die vom Primat ihrer Kultur überzeugten Ägypter nicht zu. Die weitere Geschichte sollte eine Lehre sein: Die Politik verstockt, ignoriert alle Warnungen, bis die Probleme so groß werden, dass sie wie riesige Wassermassen über den auf ihre Staatsmacht vertrauenden Ägyptern zusammenschlagen …

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