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Die herbstliche Weichenstellung

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Wie jedes Jahr, so auch heuer, fängt die politische Herbstsaison erst richtig gegen Ende September an. Die Volkspartei hat freilich bereits die erste Hürde hinter sich, eine Hürde allerdings, die sie selber aufgestellt hat. Die Öffentlichkeit mag dem recht überflüssigen Kraftakt eher ratlos zugeschaut haben, und die SPÖ konnte sich freuen wie über ein Geschenk des Himmels. Übrigens, was ist das, ein Klubobmann? Hat es mit Zeitungslesen und Tarockieren zu tun? Niemand hat es für notwendig gefunden, während der langwierigen Debatten die Öffentlichkeit, sei es durch das Fernsehen, sei es auf andere Weise, in kurzer, überschaubarer Form über die Bedeutung dieser parlamentarischen Funktion zu informieren.

Nun hat die Volkspartei ihren neuen Klubobmann. Einen geeigneteren Budgetstrategen, allein schon vom Sachverstand her, hätte die ÖVP kaum finden können. Dazu muß man wissen, daß diese Budgetdebatte nicht wie jede andere sein wird, sondern daß von ihrem Verlauf und Ausgang die Weichenstellung für die restliche Zeit dieser Legislaturperiode abhängt, auch dann, wenn es nicht zu den vom Bundeskanzler angedrohten Neuwahlen kommt. Die Volkspartei könnte unversehens vor dem Dilemma stehen: Was ist besser, ein rascher Sturz der Regierung oder ein Abwarten, auf die Gefahr hin, daß die Partei in der Opposition die Zerreißproben auf lange Sicht nicht aushält?

Die Frage drängt sich auf: Ist die Volkspartei, ist der „Klub“, für diese Budgetdebatte überhaupt gerüstet? Denn was nützt der beste Klubobmann, wenn die „Mannschaft“ aus einigen, rein physisch schon bald überforderten, sachverständigen Abgeordneten und aus einer Mehrzahl von jovialen Herumsitzern besteht? So glanzvoll war die Unterstützung nicht, die der ÖVP-Klub etwa bei der letzten Budgetdebatte seinem oft verzweifelt allein kämpfenden Finanzminister gewährte. Wo die rein fachlichen Voraussetzungen fehlen, kann auch ein guter Klubobmann kein Wunder wirken. Die Minderheitsregierung hat ihren Budgetentwurf, wie es heißt, in Rekordzeit unter Dach und Fach gebracht. Wie denn auch anders, wenn man bedenkt, daß erstmalig in Österreich in einer Regierung bestimmte Bevölkerungsgruppen, über deren unmittelbare, ihre Existenz berührende Interessen im Budget mitentschieden wird, überhaupt nicht vertreten sind. Daß also die Gespräche der Minister untereinander über bestimmte Budgetziffern so kühl akademisch bleiben mochten wie Diskussionen in einem Hochschulseminar. Das Leben, das unmittelbare, nackte Schicksal ganzer Bevölkerungsteile, blieb außerhalb dieser Sitzungszimmer und wurde höchstens in Form von Nützlichkeitserwägungen der Parteistrategen berücksichtigt. Um so größer ist die Verantwortung der Volkspartei bei den kommenden Budgetberatungen. Sie wird dort jene Mitbürger zu vertreten haben, die während der interministeriellen Gespräche der Minderheitsregierung draußen geblieben sind.

Das kommende Budget 1971 hat wohl mehrere Aspekte, und erst nach deren Prüfung wird man beurteilen können, ob die Entscheidung der Opposition, und zwar naturgemäß beider Oppositionsparteien, am Ende der Debatte vernünftig und gerecht war oder nicht. Zunächst ist die „in Zahlen gegossene Regierungserklärung“ für eine Oppositionspartei in ihrer ursprünglichen, von der Regierung eingebrachten Form unannehmbar. Etwas nuancierter wird die Sache, wenn man bedenkt, daß in Österreich rund 85 Prozent des gesamten Budgetrahmens durch Gesetze und langjährige Übung bereits feststehen, und daß, global gesprochen, nur 15 Prozent jener Rest sind, den man als Spielraum bezeichnen kann.

Der gesteckte Budgetnahmen orientiert sich ferner an bestimmten Schätzungen, welche die zu erwartende Inflationsrate und Wachstumsrate betreffen. Was an Ausgabenwünschen darüber hinausgeht, muß beschnitten werden. Regierung und Opposition haben bestimmt ihre verschiedenen Vorstellungen über die Rangordnung dieser Ausgaben und über die Art der Bedeckung. Dazu gehört auch die Frage der Staatsverschuldung. Wie weit darf sich ein Staat verschulden? Mit dem moralisierend klingenden Wort Schuld haben die Sozialisten in ihrem Kampf gegen die Budgetpolitik des ÖVP-Finanzministers immer virtuos operiert. Daß diese „Schuld“ zum überwiegenden Teil in Form von Schulen, Spitälern und sonstigen öffentlichen Investitionen in der Landschaft steht und daher nicht das Ergebnis von Ausschweifungen in Vergnügungslokalen oder von Verlusten in Spielkasinos ist, davon hat man nur wenig gehört. Man kann gespannt sein, ob die Volkspartei jetzt den Spieß einfach umdreht und Finanzminister Androsch des „Schul-denmachens“ bezichtigen wird. Von Exflnanzminister Koren ist zu erwarten, daß er diese politische Frage wirtschaftsgerecht beurteilt und seine Argumentation auf fachlicher Basis aufbaut.

Niemand darf sich aber wundern, wenn die Volkspartei die Frage der Sondersteuer, welche die SPÖ zwar bekämpft hat, jetzt aber, in Ermangelung besserer Ideen, nicht auslaufen lassen will, zum Mittelpunkt ihrer Argumentation machen wird, während die SPÖ die „katastrophale Budgetsituation“, die ihr die ÖVP beschert habe, dieser vorhalten wird. Daß sie bei der verhängnisvollen Ausgabendyniamik, die dem Wirtschaftswachstum stets vorauseilt und daher nur schlecht enden kann, ständig auf dem Gaspedal stand, wird sie bei dieser Gelegenheit kaum sonderlich betonen.

Es steht' zu befürchten, daß die Debatte zu vorgerückter Stunde immer hitziger werden und daher am Ende jeweils dort ankommen wird, wo sie nicht ankommen sollte: auf einem sehr niedrigen Niveau. Kann man es aber den Politikern verdenken, daß sie alsbald in die untere Schublade greifen, wenn sie wissen, daß die Bevölkerung schon bei einfacheren Fragen — über die Folgen überstürzter Lohn- und Gehaltserhöhungen, Folgen der Inflation, Folgen eines Preisdirigismus — gar nicht mehr mitkommt und zu keinem sachlichen Urteil fähig ist? Schuld an dieser Misere sind freilich jene, welche die Aufklärung der Bevölkerung in Fragen der Volkswirtschaft von der Schuljugend an bis zu den Erwachsenen seit vielen Jahren vernachlässigt haben. Weil dem so ist, mündet alsbald jede Debatte in jenen Leerformeln, welche die tatsächliche Lage unterbelichtet lassen und die Dummen noch dümmer machen.

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